Kritik – Seite 46 – Jazzclub Biberach e.V.

09.10.2009: Herrmann-Bodenseh-Daneck Trio

„Jazz für Erwachsene“ im Jazzkeller Biberach

Jazztrio mit musikalischen Leckereien

Billy Evans, Dizzy Gillespie, Miles Davis und andere Größen des Jazz waren unter den Komponisten vertreten, die, vermittelt durch ein gut aufgelegtes Jazztrio mit teils heimischen Wurzeln ein zahlreich im Biberacher Jazzkeller vertretenes Publikum in zunehmend bessere Laune versetzten. Besonders die Eigenkompositionen des souverän am Steinwayflügel brillierenden Andreas Herrmann boten frische, gut gewürzte, musikalische Feinkost.

 

Ob in einer frühzeitlichen Kontrapunktstudie über ein Thema von Josquin Desprez, mit einer launigen Anspielung auf seinen im Publikum anwesenden ehemaligen Kontrapunktlehrer Peter Marx, in „Black Humor“ oder der melancholischen „Hymne über eine verlorene Liebe“, Herrmanns Stücke waren abwechslungsreich, spannend und hintersinnig zugleich. Mit glitzernd perlenden Läufen über farbigen Harmonien in wohlgesetzten Synkopen changierten seine Improvisationen zwischen aufregend und einschmeichelnd, ohne dabei in Plattitüden zu verfallen oder die Herkunft seiner Inspirationen allzu deutlich werden zu lassen. Feinsinnig alles Dicke, Überladene, Plakative aber auch das nahe liegende Konventionelle vermeidend, wirkte Herrmanns musikalischer Zugriff nicht nur für das ganze Trio konstituierend sondern erwies sich in seiner eleganten Schlichtheit geradezu als stilbildend im Sinne eines gewissermaßen „klassischen“ „Modern Jazz“.

Dem musikalischen Chamäleon am Schlagzeug, Matthias Daneck, dessen virtuose Begleitpatterns sich in permanenter Metamorphose befanden und der kaum zwei aufeinander folgende Takte mit dem gleichen Rhythmus füllte, kam diese „Vermeidungsstrategie alles Konventionellen“ ebenfalls entgegen. Die Offenheit der Begleitstrukturen ermöglichte intensive Interaktion mit den Mitspielern. Keine der Improvisationen Danecks glich der anderen, das Überraschungsmoment gehört zu seinen Markenzeichen.

Neben dem in Freiburg lebenden Andreas Herrmann nutzte diese strukturelle Offenheit auch immer wieder der Stuttgarter Markus Bodenseh am Kontrabass. Mit sattem druckvollen Sound komplettierte der gefragte Sideman das hochkarätige Trio auch klanglich. Mit wenigen Ausnahmen, etwa in Herrmanns Komposition „Waltz“, in der er den festen Angelpunkt für die rasenden Mitspieler bereitstellen musste, konnte auch er die musikalischen Konventionen erfolgreich umschiffen. Bodensehs Spiel mit den gewachsenen Traditionen seiner Zunft geriet durch fortwährende Variantenbildung zu einem amüsanten Divertimento, das aber gleichwohl seiner bodenständigen Aufgabe mehr als gerecht wurde.  Seine kreativen und oft auch humorigen Kompositionen  bildeten einen künstlerischen Widerpart  zu Herrmann und rundeten  das Ganze wohltuend ab. Dankbarem Applaus folgte eine gerne gewährte Zugabe.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

25.09.2009: Rouzbeh Asgarian Band

Rouzbeh Asgarian Band im Jazzkeller

Lebendige musikalische Melange mit exotischem Touch

Eine gewisse Sorge der Musiker, ob sich die 7 Stunden Autofahrt von Köln nach Biberach gelohnt habe und ihre Musik bei den Schwaben überhaupt ankommt, war schon in den ersten Begrüßungsworten das Komponisten und Bandleaders, wie auch bei den ersten noch etwas vorsichtigen Tönen der Rouzbeh Asgarian Band vor einem sehr aufmerksamen Publikum im ordentlich besuchten Biberacher Jazzkeller herauszuhören. Ungewöhnlich lang anhaltender Beifall und Aufmunterungsrufe aus dem Publikum ließen dann aber schnell die Wogen der Begeisterung auf beiden Seiten höher schlagen.

Eine erfrischend lebendige Melange aus Jazz-, Rock-, Pop- und Funkelementen, kombiniert mit Anklängen orientalischer Musik und europäischer Avantgarde hat sich in durchaus komplexen Strukturen manifestiert, ohne auch nur den Hauch akademischer Abgehobenheit auszustrahlen. Der durchaus ungewöhnliche, wenn nicht gar exotische Musikstil, der so seltene Taktarten und Rhythmen wie etwa einen 19/4-Takt, so scheinbar unvereinbare Gegensätze wie heftig verzerrte Gitarren- und sogar Kontrabasssounds im Jazzidiom mit druckvollem Schlagzeug-Groove und fetzigen Trompetenimprovisationen verband, hatte sich in der Person des gebürtigen Iraners Rouzbeh Asgarian so stimmig zu einem Personalstil verbunden, dass auch für anspruchsvolle Zuhörer keine Wünsche offen blieben. Asgarian ragte nicht nur als Komponist aller Songtitel heraus, auch sein avanciertes Gitarrenspiel durchwirkte dynamisch alle musikalischen Strukturen. Dass er selbst in seinen virtuosesten Parts seine Mitspieler voll integrierte, lag sicher auch am künstlerischen Format derselben.

Besonders der in New York lebende Trompeter Ryan Carniaux erwies sich als vollwertiger melodischer Widerpart Asgarians. Mit kraftvoll kernigem Ton bis in höchste Lagen fetzte er mit der größten Selbstverständlichkeit auch über den vertracktesten Form- und Rhythmusstrukturen seine, bei allem Energieeinsatz sorgfältig modellierten Themen und Improvisationen, die auch ohne Elektronik klanglich gut integriert wirkten.

Entgegen der Ankündigung im Programmheft spielten Reza Askari am Kontrabass und der in Arnheim studierte Markus Berka an den Drums. Letzterer  ist in seinem Brotberuf bei diversen Musical- und Showproduktionen (Abba Mania, Tintenherz, Wicked) aktiv, konnte und wollte aber seine wahren musikalischen Vorlieben an diesem Abend nicht verbergen.  Auch Reza Askari, trotz seiner Jugend mit den „Mighty Vibez“ bereits Sieger im europäischen Reggae-Kontest und hessischer Landes-Preisträger in „Jugend Musiziert“, ging kompromisslos an die gemeinsame Sache heran. Mit sattem, gut differenziertem „Glockenklang-Sound“ war sein Bass von fundamentaler Bedeutung. Nach dem fulminanten Schlussstück „Never again“ erzwang lang anhaltender, stürmischer Applaus eine Zugabe und den Wunsch aus dem Publikum, bald mal wieder („Please again“) was von der Rouzbeh Asgarian Band hören zu dürfen.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

26.06.2009: Etna

Fetziges Konzert im Jazzkeller

ETNA aus München packen kraftvoll zu

Die drei Jungs um Bandleader Vlado Grizelj aus München hatten am Freitagabend im Biberacher Jazzkeller buchstäblich den Tiger im Tank. Die im Programm angekündigte „Dompteuse“, Komponistin, Pianistin und Sängerin Andrea Hermenau war zwar wegen einer wichtigen Prüfung nicht mit nach Biberach gekommen und nur in Form ihrer Kompositionen präsent, der mehrfach preisgekrönte „Ersatzmann“ Jan Eschke am Steinwayflügel, „einer der großen Klaviervirtuosen Deutschlands“ (Süddt. Zeitung) hatte es jedoch ebenfalls so richtig in sich. Und alle vier Musiker der Multikultitruppe ETNA zusammen bildeten einen Ausbund an Energie, der es mit dem höchsten europäischen Vulkan, in italienischer Schreibeweise „Etna“, mühelos aufnehmen konnte.

Hin- und her gerissen zwischen stilistischen Affinitäten zu den Jazzikonen Pat Metheney bei Vlado Grizelj oder Keith Jarrett bei Jan Eschke fand sich, vermittelt durch den kernig groovenden Drummer Manuel da Coll und den aus Ruanda stammenden Kontra- und E-Bassisten Yvo Fischer in den Kompositionen des bosnischen Gitarristen Vlado Grizelj musikalische Vollwertkost, deren kalorienreiche Zutaten aus Modern Jazz, Rock und Funk, melodisch gewürzt durch balkanische Spezialitäten und freche Zitate für das begeisterte Publikum zu einer ebenso herzhaften wie erlesenen Delikatesse wurde. Eben noch satt und druckvoll unter federnder Hochspannung verloren in virtuos spielerischer Ekstase, etwa in „Jumping Bug“ („Springmücke“), fanden die vier Wahlbajuwaren bruchlos ihren Weg zurück in unverstellt romantische Balladen („Lullaby“) mit weltvergessener Klangsinnlichkeit und entrückter Transzendenz – ein kreislaufstimulierendes Wechselbad intensivster Emotionalität.

Seit ETNA beim Biberacher Jazzpreis 2006 den Publikumspreis erringen konnte, hat sich die Formation musikalisch noch mal beträchtlich steigern können. Die Komposition „Tauwetter“ aus der Feder von Andrea Hermenau, gleichzeitig auch Titel der neuesten ETNA-CD, widerspiegelt wie kaum ein anderer Titel des Abends einen frischen, bereits voll ausgereiften modernen Jazzstil, der bei allen Anklängen an große Vorbilder ein hohes Maß an musikalischer Eigenständigkeit aufweist, mit großer gestalterischer Kraft neue Klangräume öffnet und bestimmt noch viele Fans finden wird.

Trotz später Stunde – wegen „höherer Gewalt“ konnte das Konzert leider erst mit einer halben Stunde Verspätung beginnen – gewährten die Münchner Vollblutjazzer gerne noch zwei Zugaben für die enthusiastischen Fans.

 

Gez. H. Schönecker

 

12.06.2009: Max & More

Max & More – Percussion-Duo mit Herz

 

“Wer spielt heute Abend im Jazzkeller, zwei Trommler, wird das nicht schnell langweilig? Irgendwie fehlt da doch jede Melodie.“ Dass der Fragesteller neben vielen anderen dann doch zum Konzert mit dem Stuttgarter Perkussionistenduo „Max & More“ erschien, musste er nicht bereuen. Bereits mit dem ersten Titel „Glockenklang“ wurde offenkundig, auch Schlaginstrumente sind der Melodien mächtig. Darüber hinaus entlockten Uwe Kühner und Bernd Settelmeyer ihren unzähligen, darunter auch recht exotischen Instrumenten wie Balibells oder Quica eine  klangliche Mannigfaltigkeit in einem rhythmisch multidimensionalen Raum, in dem es an nichts mangelte.

Bereits am Vormittag hatte das Duo im Rahmen des von Landesstiftung Baden-Württemberg, der LBBW und dem Landesjazzverband geförderten Projektes „Jazz für Kinder“ zwei Workshops mit begeisterndem Abschlusskonzert an der Grundschule Mettenberg gegeben. Dass sie mit ihrer symphatisch-kommunikativen Art nicht nur Kinder begeistern können, war schnell klar. Eine wohlüberlegte Dramaturgie, bestens aufgelegte Musiker und ein Publikum, das mit seinem Enthusiasmus nicht hinterm Berg hielt, führten mit fortschreitendem Abend zu einer immer dichteren Atmosphäre, die in einer heiteren Gelassenheit das ästhetisch-spielerische Element  der Musik auf den berühmten – und dennoch so seltenen – Punkt brachten. Spaß und Spannung, Struktur und improvisatorische Freiheiten standen in perfekter Balance.

Besonders eindrucksvoll wurde dies deutlich in dem Stück xxx in dem zwei, eher aus der Filmmusik bekannten „water drums“, mit sphärischen Klängen und Raumwirkungen emphatische  Empfindungen oder gar tranceartige schwebende Zustände auslösten. Über die skurrilen Sounds aus einer Federtrommel wurden die anfangs amorph wabernden Klangschichten schließlich immer stärker rhythmisch gefasst und konkretisiert um über afrikanische Schlitztrommel und Djembe schließlich in präzise, zupackende Rhythmuspatterns mit viel Drive und Groove überzugehen.

Uwe Kühner und Bernd Settelmeyer spielen seit ihrem gemeinsamen Schlagzeugstudium bei Pierre Favre (der auch die einzigste Fremdkomposition zum Programm beisteuerte) an der Musikhochschule Stuttgart miteinander in diversen Bandprojekten. Offenkundig auch musikalisch auf der selben Wellenlänge gelangen den beiden komplementäre Verzahnungen auch der komplexesten Strukturen mit einer Selbstverständlichkeit, die nur telepathische Ursachen haben konnte. Mehrere Zugaben und eine kurze Lektion in Instrumentenkunde ließen einen erfrischend kurzweiligen Abend in heiterer Zufriedenheit ausklingen.

12.06.2009: Max & More (Jazz für Kinder)

Workshop und Konzert
in der Projektreihe „Jazz für Kinder“ an der Grundschule Mettenberg

Rund 80 hell begeisterte Kinder der Klassen 1-4 der Grundschule Mettenberg kamen am Freitagvormittag in den Genuss zweier Workshops mit einem gemeinsamen Abschlusskonzert vor ihren Eltern in der Turnhalle. „Max & More“, zwei ungewöhnliche Perkussionisten aus Stuttgart, haben auf Einladung des Biberacher Jazzclubs im Rahmen der von der Landesstiftung Baden-Württemberg, der LBBW und dem Landesjazzverband unterstützten Projektreihe „Jazz für Kinder“ mit den Schülern altersgemäß jazztypische Rhythmen und kleine Stücke erarbeitet sowie ausgewählte eigene Werke vorgestellt.

Natürlich stießen Kompositionen wie ein „Rhythmusstück für zwei Fussbälle“, ein „Musikstück für Haushaltsgeräte“ (Kochlöffel, Topfdeckel, Schüttelbecher) oder auch ein „Musikstück für zwei Notenständer und Fahrradhupe“ auf flammende Begeisterung bei den hoch motivierten Kids. Auf witzige Weise wurde dabei ganz nebenbei auch mit dem weit verbreiteten Vorurteil, wonach Schlagzeuger keine Notenständer brauchen, aufgeräumt.

Offene Münder, aufgerissene Augen, fröhliches Lachen und immer wieder heftiger Beifall zeigten, dass die beiden Musiker Uwe Kühner und Bernd Settelmeyer nicht nur hochrangige Künstler, sondern eigentlich geborene Lehrer sind. Pädagogisch durchdacht, kindgemäß, abwechslungs- und lehrreich mit hohem Spaßfaktor gelang es „Max & More“ so ganz nebenbei aufzuzeigen, dass Jazz tatsächlich kein Unwort ist, sondern für eine lebendige, spontane Musik steht, die völlig zu Unrecht unter den heutigen Musikstilen in eine Randstellung geraten ist.

Was für eine Gaudi, als in dem „Recycling-Song“ eine schlecht ausgefallene Klassenarbeit musikalisch recycelt wurde. Weit über 100 Blatt Papier – auch die Eltern und Verwandten durften bei dem Schlussstück mitmachen – wurden gewedelt, zu Röhren geformt, geschlagen, rhythmisch zerknüllt, zerrissen und die Fetzen zum Finale schließlich pittoresk in die Luft geschleudert. Lang anhaltender Beifall, zufriedene Gesichter bei den Eltern und leuchtende Augen bei den Kindern waren nicht nur für „Max & More“ sondern auch für die an der Organisation beteiligten Lehrerinnen der Grundschule Mettenberg unter ihrem Rektor Dr. Weinrebe sowie den Verantwortlichen vom Jazzclub Biberach verdienter Lohn für die aufgebrachten Mühen.

gez. Dr. Helmut Schönecker