Kritik – Seite 33 – Jazzclub Biberach e.V.

15.11.2013: Fabro

Leichte Unterhaltungsmusik mit Esprit

BIBERACH – 20jähriges Bühnenjubiläum mit dem Flamenco-Jazz-Trio „FABRO“, das hieß im Biberacher Jazzkeller vor allem gefällige, abwechslungsreiche Unterhaltungsmusik, routiniert dargeboten mit gelegentlich besinnlich-meditativem Einschlag. Nach feurigem Flamencofeeling suchte man jedoch vergeblich. Daran konnten auch die typischen „Palmas“ nichts ändern. Durch die Eisele-Zwillinge aus Sigmaringen versiert umgesetzt, belebten die komplementärrhythmischen Klatschrhythmen  das musikalische Geschehen, ohne jedoch an diesem Abend wirklich zu zünden.

Durchaus lebhaft in den schnelleren Nummern, boten die Multiinstrumentalisten eine große klangliche und stilistische Vielfalt, abwechslungsreich und unterhaltsam. Vor allem Wolfgang Eisele, wahlweise an Sopran- oder Altsaxophon, Querflöte, Gitarre, selbstkonstruierter Bassdrum oder diversen Perkussionsinstrumenten, zeigte sich dabei als musikalisches Chamäleon.  Sein Bruder Harry am Flügel, auf einer Cajon sitzend und gelegentlich auch darauf spielend, hielt das musikalische Geschehen harmonisch und strukturell zusammen, lockerte es vereinzelt aber auch durch jazzige Improvisation auf.

Oliver Fabro, Namensgeber und musikalischer Kopf der Formation und nach mehreren gefeierten Auftritten in Biberach erklärter Publikumsliebling, steuerte, neben seinem virtuosen Gitarren- und Mandolinenspiel sowie einer fußbedienten Schellentrommel, die stilistisch vielfältigen Kompositionen bei. Keltische Einflüsse, wie in dem aus Nordwestspanien stammenden „Gaita“ , mittel- und südamerikanische Rhythmen, orientalische Melodik oder programmatische Aspekte, wie in der Flussgeschichte „El Rio“ nach dem Vorbild von Smetanas „Die Moldau“ verbinden sich mit Jazzeinflüssen zu einem mittlerweile gereiften, ja beinahe abgeklärt wirkenden Individualstil, der sich auch in der neuesten CD-Produktion „Primavera“ wiederspiegelt. Exotische Instrumente, wie der aus Südindien stammende „Ghatam“ – ein nach oben offener bauchiger Tonkrug – oder die türkische Darbuka  – eine tablaähnliche Trommel – öffnen ungewohnte Klangräume, die sich oft mit den traditionellen Flamenco-Rhythmen, etwa den Soleares zum typischen Fabrostil verbinden.

Wirklich in die Tiefe gingen aber besonders die langsamen Nummern. „Flor de luna“ entführte das überwiegend aus erklärten Fabrofans bestehende Publikum in weit entrückte Sphären tiefster Kontemplation. Erst Sekunden nach dem Verklingen der „Mondblume“ trauten sich die ersten Claqueure zum dann aber langanhaltenden Applaus. Schade eigentlich, dass nicht mehr solcher Stücke im Programm auftauchten, wirkten doch die schnellen Stücke mitunter etwas unscharf und beiläufig, die virtuosen Unisonolinien nicht immer ganz präzise und die Improvisationen oft etwas wenig inspiriert. Es blieb eine temperamentvolle, gute Unterhaltungsmusik mit Esprit zum entspannten Zuhören und Wohlfühlen.

 

08.11.2013: Nicole Jo

„Nicole Jo“ trifft den Nerv des Publikums

BIBERACH – Im restlos gefüllten Jazzkeller ging beim Konzert von „Nicole Jo“ buchstäblich der Punk ab. Bereits vom ersten Titel an sprang der Funke über, die Begeisterung war mit Händen zu greifen, der Sound und das Bandkonzept stimmten, ebenso die Motivation der Musiker. Und ganz offenkundig trafen auch die Eigenkompositionen der Bandmitglieder beim Publikum auf offene Ohren. Der CD-Verkauf und die eingeforderten Autogramme beschäftigten die Musiker nach dem Konzert noch fast eine ganze Stunde lang.

Wie Nicole Johänntgen später dem Publikum gestand, war bereits die stimmungsvolle Anreise aus Zürich mit der Fähre über den Bodensee für sie ein gutes Omen. Das Ambiente und das begeistert mitgehende Publikum im Jazzkeller taten ein Übriges, und so bedankten sich die Musiker am Ende nicht nur mit mehreren Zugaben sondern auch durch überschwängliches Lob bei Publikum und Veranstaltern.

Die Arbeiten mit Loops und Patterns aus der elektronischen Workstation verbinden sich in der Elektro-Jazzszene meist mit gediegenen Sounds und sphärischen Klängen in einfachen Strukturen und mit noch einfacheren Motiven, oft im Stil der Minimal Music oder gar mit eingängigen Elementen aus der Popmusik. Eine echte Synthese der neuen Klanglichkeit mit originären Jazzelementen ist ziemlich selten. Genau in dieser Nische bewegen sich aber die ebenso temperamentvolle wie sympathische Bandleaderin an Sopran- und Altsaxophon und ihre musikalischen Mitstreiter. Die gepflegte ästhetische Klangkultur und das Experimentieren mit neuen Sounds und Spieltechniken verbinden sich bei „Nicole Jo“ mit hochvirtuosen und komplexen Improvisationen. Druckvolle Bässe und zupackende Grooves aus der Funk- und Fusion-Tradition treffen auf rasante Neobop-Unisono-Linien (Stefan Johänntgen), ausdrucksvoll „sprechende“ und sinnlich leuchtende Saxophonklänge wechseln mit wilden Schlagzeug- (Elmar Federkeil) oder Bass-Soli (Philipp Rehm).

So kamen etwa in dem flirrenden „Smells like spring“ eher Assoziationen zu Strawinskys „Frühlingsopfer“ und dem dort nach langem, harten Winter mit Brachialgewalt einbrechenden russischen Frühling auf, als zu dem eher lauen Beginn dieser Zwischenjahreszeit in unseren Breiten. In „Time“ wirbelte die kraftvolle Musik ihre willigen Zuhörer mit der Anziehungskraft eines „schwarzen Loches“ in das stilistische Füllhorn eines allumfassenden Jazz-Universums, aus dem es kein Entkommen mehr gab.

Begeistertes Johlen, anfeuernde Rufe und Pfiffe und der Wunsch vieler Konzertbesucher, diese Musik auch in gepresster Form mitzunehmen, waren die äußeren Zeichen für ein kollektives Erfolgserlebnis der Extraklasse. Schade nur, dass die neue CD erst in knapp einem Jahr auf den Markt kommt.

 

Dr. Helmut Schönecker

 

18.10.2013: Immigrants

Drei Immigranten aus Valence begeistern im Jazzkeller

Biberach (hbs) – Es mag abgedroschen klingen, aber der Auftritt der Valencer Band „Immigrants“ hat mal wieder überzeugend gezeigt, dass Musik Grenzen sprengen kann. Wenn nun also im Rahmen der Französischen Woche im Oberschwäbischen ein New Yorker, ein Pole und ein Franzose (noch dazu ein waschechter Valencer Jung) Chicago- oder Delta Blues spielen, und die Zuhörer begeistert klatschen, dann ist das doch schon ein bisschen Melting Pot, was sich da am vergangenen Freitag im gut besuchten Biberacher Jazzkeller abgespielt hat. Und wenn man bedenkt, dass der an diesem Abend vorherrschende Musikstil auch schon bald einhundert Jahre auf dem Buckel hat, war das Gebotene überhaupt nicht angestaubt. Auch klang die Musik des Trios aus Valence überhaupt nicht traurig, selbst wenn die näselnde Stimme von Tomek Dziano schon häufig voll den Blues drauf (oder drin?) hatte. Zudem überzeugte der gebürtige Pole als einfühlsamer Gitarrist, der auf seiner Epiphone wundervolle weiche Soli zauberte. Die rhythmische Grundlange dafür bereitete Mike Greene, den die Liebe vor rund 40 Jahren von New York nach Südfrankreich lockte, mit seinen akustischen Gitarren. Auch er ein hervorragender Sänger, der nicht allein mit Blues, sondern auch mit starkem Singer-Songwriter-Einfluss aufmerken ließ und diese Qualitäten bei einem Bob-Dylan Stück in Szene setzte. Bei seinen kurzweiligen, abwechselnd in Englisch und Französisch vorgetragenen Ansagen ließ Greene immer wieder sein Talent als Entertainer aufblitzen. Den bluesigen Sound vervollständigte mit seiner Bluesharp der glänzend aufgelegte Alain Michel, der mit seinen kraftvollen Soli immer wieder verdienten Szenenapplaus für sich einheimste.
Die drei Vollblutmusiker brachten ihre Qualitäten nicht nur in ihren Soli zum Ausdruck, sondern überzeugten vor allem als Team. Und belegten mit ihrem feinfühligen und filigranen Spiel die These, dass oftmals wenig mehr sein kann, und dass Lautstärke nicht alles ist. Mit der Auswahl ihrer Stücke boten die „Immigrants“ kraftvollen Blues, der zum Mitklatschen animierte, bis hin zu zarten, leisen Stücken, bei denen es im Raum mucksmäuschenstill wurde. In ihrem Repertoire fanden sich auch etliche eigene Stücke von Mike Greene und Tomek Dziano, die neben Songs von Größen wie Robert Johnson, Jimmy Reed oder John Lee Hooker bestens bestehen konnten.
Nachdem Mike Greene im Laufe des Abends meinte, dass sich Französisch nicht wirklich gut zum Singen eignet, schnappte sich Alain Michel zur Zugabe eine Gitarre und bewies mit einem Song aus den Sümpfen Louisannas, wo noch heute französisch gesprochen wird, das Gegenteil. Im Singer-Songwriter-Stil endete nach rund drei Stunden ein weiterer gelungener Abend der Französischen Woche, der bei allen Beteiligten in bester Erinnerung bleiben wird, und der weitere freundschaftliche Bande zwischen den beiden Partnerstädten Valence und Biberach knüpfte und bestehende auffrischte.

11.10.2013: Deep Schrott

„DSDS“ im Biberacher Jazzkeller

Kurzweilig und unterhaltsam, bisweilen etwas makaber und mit einer gehörigen Portion schwarzen Humors ausgestattet, präsentierte das „einzige Bass-Saxophon-Quartett des Universums“ im Biberacher Jazzkeller feinsinnige Skurrilitäten oder auch rotzfreche Gemeinheiten im rustikalen Charme eines einzigartigen Klanggewandes. Vor allem die Stücke von der neuen CD „Dark Side of Deep Schrott“ (DSDS), die Anfang kommenden Jahres erscheinen soll, zeugen von einer erfrischend kraftvollen Innovationsfähigkeit der vier international renommierten Spitzenmusiker. Mit Wollie Kaiser, dem Gründungsmitglied der Kölner Saxophon Mafia und deren langjährigem Mitglied Dirk Raulf, Gründer und Kopf des Quartetts, kam auch ein guter Teil der musikalischen Konzepte dieses schon legendären Ensembles zu „Deep Schrott“.

Das Komponieren und Arrangieren für vier Bass-Instrumente stellt eine permanente Herausforderung an alle Beteiligten dar. Tonumfang und klangliche Möglichkeiten des Instrumentes müssen voll ausgenutzt und mit allen möglichen Tricks und Kniffen erweitert werden. Der verbleibenden klanglichen Uniformität muss eine große stilistische und spieltechnische Vielfalt gegenüber gestellt werden. So wurden Klappengeräusche, geräuschvolles Atmen ins Instrument, schmatzende, schnalzende, gurgelnde Töne oder auch die Sprechstimme zur Erweiterung des Klangspektrums ebenso ungeniert eingesetzt, wie stilistische Parforceritte durch Jazz, Rock, Pop, moderne Musik und Weltmusik unternommen wurden. Jan Klare aus Münster und Andreas Kaling aus Bielefeld komplettieren das originelle Quartett und steuern ebenfalls pfiffige Kompositionen und Arrangements zum abwechslungsreichen Programm bei.

„Deep Schrott“ bringen Bob Dylan und Hanss Eisler, „Smells like teen spirit“ von Nirvana aus den frühen 90ern, Stücke von Black Sabbath, Alice Cooper oder von “The Doors” aus den 60ern und 70ern zusammen. „Everybody must be stoned“, eine Hommage an den großen Melodienerfinder Dylan zu seinem 70sten, sowie eine Reihe von Eisler-Liedern, dessen Nähe zu Bert Brecht oder Adorno und der neuen Wiener Schule zur musikalischen Avantgarde der 50er und 60er Jahre führen, thematisieren die, gerade auch im Angesicht des neoliberalen Finanzgebarens im Vorfeld der jüngsten Schulden- und Eurokrisen, hochaktuellen Zusammenhänge und laden zur kritischen Reflexion ein.

Die Bezüge auf die Anfänge der “Hard & Heavy”-Bewegung in der Rockmusik bilden nicht nur verbale Anklänge an das musikalische „Schwermetall“ jener Zeit. Der sehr präsente Brachialsound des tiefen Saxophon-Blechs (das gleichwohl zu den Holzblasinstrumenten zählt) sowie die musikalische Struktur der Stücke, oft eine wechselnde Solostimme und drei, häufig ostinat geführte Begleitstimmen, spiegeln gleichzeitig die Intentionen der frühen Heavy-Metal-Bewegung wieder und werfen doch ein ganz neues, eigenwillig ironisches Licht darauf. Dass auch „Swingtitel“ oder Songs von ABBA (in der Zugabe) demontiert und neu zusammengesetzt Eingang ins Quartett-Repertoire finden, lässt in all der Ernsthaftigkeit künstlerischer Auseinandersetzung doch auch die hellen Seiten von Deep Schrott aufscheinen. Das Publikum zeigte sich von beidem begeistert und inspiriert.

 

gez. H. Schönecker

20.09.2013: BHS Organ Trio

Konzert im Jazzkeller

BHS Organ Trio eröffnet neue Konzertsaison des Jazzclubs

BIBERACH – Original Hammond Orgel und Leslie-Tonkabinett stehen nicht nur bei Klangfetischisten auch heute noch hoch im Kurs. Der damit verbundene Kult erinnert schon an die legendären historischen Instrumente der Cremoneser Geigenbauschule eines Amati, Guarneri oder Stradivari. Guterhaltene Instrumente erzielen auf dem Gebrauchtmarkt Preise im Bereich eines neuen PKW der gehobenen Mittelklasse. Wenig verwunderlich also, dass sich im Publikum des letzten Jazzclubkonzertes mit dem „BHS Organ Trio“ neben erklärten Jazzfans auch eine ganze Reihe von Hammondfans einfanden um dem legendären Sound der Kultorgel zu lauschen und zu huldigen.

Anders als die international gefeierte Jazzmusikerin Barbara Dennerlein, die ihre voll aufgerüstete und mit Hightech vollgestopfte Hammond in ihren Auftritten virtuos und solitär zelebriert, ist die Hammond beim Schweizer BHS Trio im authentischen Originalsound integraler Klangbaustein im musikalischen Konzept des Trios. Thomas Bauser an der Hammond B3 und Franz Hellmüller an der E-Gitarre zeichnen verantwortlich für die Kompositionen des Trios, die besonders durch eine fein aufeinander abgestimmte Klanglichkeit gleichberechtigter und gleichwertiger Stimmen in einer dichten, oft polyphonen Struktur beeindrucken. Hauptverantwortlich für den raffinierten Groove der Stücke zeichnet der Schlagzeuger Michi Stulz, der sich aber trotz ständiger Präsenz nie in den Vordergrund drängte.

Die Stücke des Trios, besonders das schwungvolle „Waltz for Sophie“ zu Ehren der Frau des Organisten und das bunt schillernde „La Capitale“ in Würdigung der französischen Hauptstadt Paris, wirken gleichermaßen modern und doch der Tradition verbunden. Modern vor allem bezüglich ihrer Rhythmik und Struktur sowie der Einbindung neuerer stilistischer Trends in Richtung des „New Pop“ oder „Modern Funk“, traditionell bezüglich der Sounds und Patterns, die ihre psychedelischen Wurzeln und stilistischen Anklänge u.a. an die deutsche Gruppe „Kraftwerk“ nicht verleugnen konnten. Dass der traditionelle Hammond-Sound und die technischen Möglichkeiten einer zweimanualigen Orgel mit Vollpedal ihre musikalischen Möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt haben, stellte Bause eindrucksvoll unter Beweis. Auf drei musikalischen Ebenen sowie mit ständigem umregistrieren der zahlreichen Schieberegler vielbeschäftigt und voll multitaskingfähig saß er im Zentrum des homogenen musikalischen Bandgeschehens als „primus inter pares“.

Kontemplative Versenkung in den klanglichen Untiefen der tiefsinnigen Kompositionen war ebenso möglich, wie federndes Mitschwingen und Mitwippen bei den zupackenden, modernen Grooves. Fetzig ist jedoch anders. Trotz schweizerisch-dezenter Zurückhaltung der Musiker kam mancher Anfeuerungsruf aus dem interessierten Publikum, welches sich auch eine kurze Einführung in die Geheimnisse der B3 und des Leslie-Tonkabinetts wünschte. Die Erklärung durch Thomas Bauser fiel dann allerdings eher nüchtern aus: Hammond B3 im neuen transportablen Gehäuse („im Originalgehäuse wäre das 250kg Instrument nicht so reisetauglich gewesen“) und ein früher Vorläufer des Leslie-Tonkabinetts mit den rotierenden Lautsprechern aus dem Jahr 1952 mit stillgelegtem Bass-Rotor „weil die tiefen Töne nicht wummern sollten.“ Enthusiasmus klingt anders. Ähnlich zurückhaltend erwiesen sich die Schweizer in ihren Zugaben. Nach langem Betteln gab es schließlich einen „Gute Nacht – Choral“. Das Publikum hätte sich durchaus mehr gewünscht.

gez. Dr. H. Schönecker