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Kategorie: Kritik
11.12.2015: Carlas Saxaffair
Carlas Saxaffair zum Jahresabschluss
Hohe Quartettkunst mit der ganzen Familie
BIBERACH – Die ganze Saxophonfamilie war heuer im Biberacher Jazzkeller vertreten. Vom kleinen Sopran- über das einschmeichelnde Alt- und ruppige Tenor- bis hin zum tongewaltigen Baritonsaxophon. Lediglich der notorisch nach Luft ringende Großvater, das grummelnde Bass-Saxophon, war zuhause geblieben als vier stramme Jungs um den in der Region bestens bekannten Sigmaringer Saxophonheroen Wolfgang Eisele auf Einladung des Jazzclubs im Jazzkeller den Jazzbiber tanzen und sich nicht nur mit Carla auf eine Affäre einließen.
In der Tat waren es in die Beine gehende Rhythmen wie Tango, Swing oder gar ein Reggae auf den Spuren von Bob Marley und selbstverständlich auch der eine oder andere von insgesamt 20 Bluestiteln im Repertoire, die Füße mitwippen ließen. Und das, obwohl fast alles fehlte, was sonst eine Tanzband ausmachte. Launig moderiert durch Stefan Dudda am Bariton, erfuhren die zahlreichen Gäste auch einiges zu historischen Hintergründen oder gar Hintergründiges, etwa über die frühe Karriere von Lionel Ritchie als Tennisspieler und Ersatzsaxophonist.
Wolfgang Eisele, für alle Kompositionen oder Arrangements zuständig, hat ein durchaus innovatives Konzept gefunden, Rhythmus und Begleitung so im Quartett zu verteilen, dass es an nichts mangelt. Erwartungsgemäß erfüllt dabei das in satter Tieflage schmatzende Baritonsaxophon die Rolle des Bassinstrumentes, durch stark rhythmisch geprägte Patterns aber auch den fehlenden Schlagzeugpart. Gelegentlich war sogar Raum für wilde Improvisationen auf dem gar nicht so schwerfälligen Instrument. Auch die konditionell starke körperliche Leistung, dieses schwergewichtige Instrument einen ganzen Abend lang im Stehen zu traktieren, sollte nicht gering geschätzt werden.
Helmut Stegen am Tenor- und Fritz Rebstein am Altsaxophon hatten als Gitarren- oder Klavierersatz keine leichte Aufgabe. Höchste rhythmische Präzision im homogenen Satz waren gewissermaßen zwingend erforderlich. Ebenso eine saubere Intonation. Lediglich das Sopran- oder Solo-Alt-Saxophon mit Wolfgang Eisele an den Klappen durfte in einigermaßen konventioneller Weise seine melodischen Kreise ziehen. Es ehrt den Komponisten, dass er es schaffte, in seinen keinesfalls gleichförmigen Arrangements auch mal die Rolle des Dienenden zu übernehmen und den Arbeitern aus den Mittelstimmen damit etwas Luft zum Atmen und zu improvisatorisch kreativen Ausflügen ließ.
Die rhythmisch groovenden Saxophonmänner hatten die unterschiedlichsten Titel im Repertoire. Da schimmerte facettenreich das „Mondlicht“, da wurden schillernde „Feenzauber“ gewebt und entrückten „Träumereien“ im „Traumfänger“ nachgelauscht. Überraschung und Abwechslung waren bei Carlas Saxaffair zum Programm erhoben. Selbst vor einem 7/4-Takt im „Rhythm Change“ machte die extravagante Truppe nicht halt. Kein Wunder, dass Eiseles Kompositionen mittlerweile auch zu den Standards in der Quartettliteratur für Saxophon gehören und viele Nachahmer in der Bläserszene gefunden haben.
gez. H. Schönecker
30.11.2015: Christine Langer / Thomas Horstmann
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27.11.2015: Torsten Zwingenberger Berlin 21
Hauptstadt-Jazz mit „Berlin 21“ im Biberacher Jazzkeller
Kosmischer Spaß-Jazz der Superlative
BIBERACH – Keine halben Sachen machte Torsten Zwingenberger mit seinem hochkarätig besetzten Quartett „Berlin 21“ in einem der erlesensten Jazzclubkonzerte der letzten Jahre im übervollen Jazzkeller. In seinen Begrüßungsworten gab Zwingenberger seiner Freude und – wohl angesichts der gewohnten Berliner Verhältnisse – auch Überraschung über die stimmungsvolle Kulisse einer so prallvollen Veranstaltungsstätte Ausdruck. Seine Musik sprühte von Beginn an Funken, diese sprangen sofort auf die Konzertbesucher über und die Begeisterung auf beiden Seiten führte schließlich zu einem über dreistündigem Konzert der Extraklasse. Das Team vom Jazzclub durfte zu Recht frohlocken, die langjährigen Bemühungen um einen Konzerttermin mit dem Ausnahmeschlagzeuger haben sich gelohnt.
Bandleader Torsten Zwingenberger hat in der letzten Dekade vor allem sein virtuoses und hochkomplexes Schlagzeugspiel vervollkommnet und dabei besonders unter Einsatz eines immer umfangreicheren Equipments unter Einbeziehung zahlreicher Perkussionsinstrumente und spezieller Pedal- und Schlagtechniken (Drumming 5.1 mit beidhändigem „Open-Hand“-Spiel und daraus resultierenden Twin- oder Doppelschlageffekten bis hin zum einhändigen Trommelwirbel) eine klangliche und strukturelle Vielschichtigkeit entwickelt, die ganz ohne elektronische Hilfsmittel ein mehrköpfiges Schlagzeugensemble ersetzt. Dies ermöglicht ihm eine außerordentliche Dichte und Präzision im Spiel, die von kaum einem anderen Schlagzeuger erreicht wird. Seine Soli, keineswegs im Übermaß oder als bloße Effekthascherei eingesetzt, lassen einen den Atem anhalten. Sein Einfallsreichtum scheint grenzenlos, seine künstlerische Ausstrahlung fasziniert und fesselt, sein pittoreskes Schlagzeugsolo über die „Fahrt einer Dampfeisenbahn von Berlin Friedrichstraße zum Bahnhof Zoo“ treibt die Begeisterung auf einen finalen Höhepunkt, hinterlässt nachhaltigen Eindruck, setzt neue Standards im Schlagzeugspiel.
Wer jetzt denkt, daneben müssten die weiteren Mitspieler blass und unscheinbar erscheinen, hat sich gehörig getäuscht. Der weitgereiste komponierende Pianist und Weltbürger Lionel Haas brannte in enormer stilistischer Bandbreite ein wahres Tastenfeuerwerk ab, zauberte unfassbare Improvisationen über einer rasanten Boogie-Woogie-Begleitung der linken Hand und das auch noch im 5/4-Takt, groovte in vollgriffigen karibischen Pianolicks, im „Straight-Ahead-Jazz“ oder Modern Swing der Post-Bop-Ära ohne jegliche Berührungsängste. Nichts für Puristen aber Hauptsache es macht Spaß.
Der auch für weitere Bandkompositionen zuständige Kontrabass- bzw. Bassello-Spieler Martin Lillich zeigte als ehemaliger Meisterschüler des bei den Berliner Philharmonikern spielenden Klaus Stoll und Schlagzeugdozent an der Berliner Musikhochschule eine breite Palette spielerischen Könnens, gezupft, geschlagen und gestrichen. Herausragend und neben anderen Stücken der aktuellen CD von „Berlin 21“, „CAPITAL LETTERS“, eigens geschrieben für die spezifischen Möglichkeiten dieser Bandbesetzung war dabei sein quirliger Titel „Clues“, eine Fusion kubanischer Rhythmen über Bluesharmonien. Hierbei lief der ebenfalls komponierende junge Kanadier Benson Mc Glashan mehr noch als in seinen weiteren Gitarrenimprovisationen oder kapriziösen Eigenkompositionen zur Hochform auf. Mit der Eloquenz eines Joe Pass oder der Geschmeidigkeit eines Wes Montgomery riss der ebenfalls in Moabit lebende Wahlberliner (die alte Postleitzahl 1021 findet sich übrigens im Bandnamen) die letzten Mauern ein. Die überschäumende Spielfreude des Quartetts korrespondierte mit den anspornenden Beifallsstürmen eines hell begeisterten Publikums, am Ende applaudierten dann gar die Musiker – dem Publikum. Ein „Berlin 21“ der rundum erfreulichen Art. Nachschlag bitte!
gez. Dr. H. Schönecker
20.11.2015: Alex Jung Trio
Alex Jung Trio im Jazzkeller
Zwischen impressionistischen Exerzitien und Tiefenentspannung
BIBERACH – Samtig weiche, einschmeichelnde Gitarrenklänge dominierten das musikalische Geschehen beim Freitagskonzert des Jazzclubs. Dichte, abwechslungsreiche, mitunter etwas beckenlastige Schlagzeugrhythmen des früheren Gewinners des internationalen Biberacher Jazzpreises für jugendliche Jazzmusikerinnen und –musiker (1996), Matthias Gmelin, an seinem selbst für ein Jazzschlagzeug besonders kompakten Drumset, immer mal wieder aufgelockert durch muntere Soloeinlagen, bildeten das rhythmische Fundament des Geschehens, welches ansonsten oft in träumerisch meditative Gefilde abzudriften drohte.
Frische Basics des agilen Kontrabassisten Johannes Ochsenbauer unterstützten das harmonische Geschehen und schwangen sich immer wieder zu melodischen Qualitäten auf, die dann den Bandleader Alex Jung an der Gitarre entlasteten, der ansonsten für beide Jobs gleichzeitig zuständig war. Diese „Doppelbelastung“ kam durchaus auch optisch zum Ausdruck, entrückte Bewegungen oder eine häufig angespannte Miene ließen keine Zweifel an den innerlich ablaufenden schöpferischen Prozessen aufkommen. Dies waren denn auch die äußeren Zeichen, dass in der Musik des Trios nicht alles „Smooth Jazz“ oder bloß unterhaltend gedacht war, auch wenn die Stücke durchaus so gehört werden konnten. Wer sich mit der gefälligen Oberfläche zufrieden geben wollte, erlebte einen entspannten Abend mit unterhaltsamer Barmusik. In deren tieferen Schichten gab es allerdings durchaus mehr und vor allem auch überaus Interessantes zu entdecken.
Titel wie „Latinesk“, „On A Misty Night“ von den älteren CD-Einspielungen oder „Mellow“ von der demnächst anstehenden neuen CD-Produktion, alles Eigenkompositionen des Bandleaders Alex Jung an der Gitarre, sowie die wenigen Arrangements von meist weniger bekannten Standards offenbarten vielfältige Binnenstrukturen, denen nachzuspüren lohnenswert und unterhaltsam auf eine überaus anregende Art waren.
Der von der Fachkritik hoch gelobte Dozent der Münchner Jazzschule hat in den letzten Jahren, vielleicht versinnbildlicht im Titel „Mellow“, zu einem gereiften Personalstil gefunden, der zumeist in swingender Leichtigkeit Melodien mit komplexen Begleitfiguren kombiniert, gleichzeitig oder in virtuosem Wechsel immer wieder neu gruppiert, in impressionistischen Klangflächen versinkt und in eruptiven Spielfiguren auch immer wieder daraus hervorschießt. Die Reaktionen im Publikum schienen diese Facetten wieder zu spiegeln. Während die einen sich mit auf die impressionistischen Exerzitien begaben und gelegentlich mit Anfeuerungsrufen wieder daraus emportauchten, gab es auch den einen oder anderen relaxten Freitagabendbesucher hinter dessen geschlossenen Lidern die aktive seelische Entspannung zu erahnen war. Das Alex Jung Trio war für alle gut, die tiefenentspannten Besucher gaben sich dann aber doch mit nur einer Zugabe zufrieden.
23.10.2015: Olivia Trummer
Olivia Trummer Solo begeistert im Jazzkeller
Musikalische Wanderungen zwischen den Welten
BIBERACH – Mit Stücken aus ihrer brandneuen CD-Produktion – „Classical to Jazz One“ stellte sich die aus Stuttgart stammende und nach Jahren der künstlerischen Reifung in New York mittlerweile in Berlin lebende Jazz- und Klassikpianistin Olivia Trummer als Solistin oder im Duo mit sich selbst dem zahlreich angetretenen und hell begeisterten Biberacher Fanpublikum im Jazzkeller vor. Zahlreiche Preise im klassischen und im Jazzmetier, darunter auch die Finalteilnahme beim Biberacher Jazzpreis oder diverse Preise und Auszeichnungen für ihre bisher sechs eigenen CD-Produktionen zeugen von der Klasse der seit einigen Jahren auch mit einem Faible fürs Songwriting ausgestatteten Universal-Künstlerin.
Durchaus anspruchsvolle Klavierliteratur von Mozart oder auch Bach, der bereits in seiner Zeit als großer Improvisator galt und sogar mehrstimmig-polyphone Stücke aus dem Stegreif zu spielen vermochte, als Ansatzpunkt für eigene Improvisationen im Jazzidiom zu wählen, scheint ein ganz kluger Schachzug. Nicht nur um sich mit dem Original zu messen und die eigenen Qualitäten im klassischen Bereich ins rechte Licht zu rücken, sondern vor allem um die ungewöhnliche Doppelbegabung auch in einem eigenständigen Stil zusammenzuführen und künstlerisch auf den Punkt zu bringen.
Olivia Trummer vermochte in ihrem ersten, ausschließlich der neuen CD gewidmeten Programmteil mit tiefer Intensität und struktureller Dichte das Publikum in Bann zu schlagen und zu begeistern. Im zweiten Teil führten eher leichtgängige, jazzaffine Popsongs mit romantischem oder poetischem Einschlag in die westliche Glitzerwelt des Jazzbusiness. Als Wanderer zwischen beiden Welten bewegt sich Olivia Trummer durchaus in der Nähe eines Bobby McFerrin, einem renommierten Jazzmusiker, der in der Öffentlichkeit jedoch meist auf seinen Hit „Don’t worry, be happy“ reduziert wird. Mit ihm zusammen erhielt sie übrigens bereits 2011 im Festspielhaus in Baden-Baden in einem gefeierten Duett stehende Ovationen von einem begeisterten Publikum.
Intensität und Dichte des zweiten Programmteiles konnte mit dem ersten Set zwar nicht ganz mithalten, er gestaltete sich dafür jedoch überaus unterhaltsam und abwechslungsreich. Ob die Stimmung eines in ihrer New Yorker Zeit entstandenen Stückes wie „Fly Now“ – nach Aussage von Trummer verbunden mit der Vorstellung, auf der Spitze eines Hochhauses vor der Entscheidung zum Fliegen oder Abstürzen zu stehen – mit Hilfe impressionistisch gefärbter Ganztonleitern oder mithilfe anderer Stilmittel erzeugt wurde, ist für emotionale oder Unterhaltungshörer eher sekundär. Hilfreich für ein breites Hörerspektrum dürfte jedoch vor allem die poetische Verstehenshilfe sein.
Dass dennoch die mitgebrachten neuen CDs als erste ausverkauft waren, dürfte auch ein Beweis dafür sein, dass der neue Weg eine höhere künstlerische Durchschlagskraft besitzt. Zumindest bei einem durchaus feinsinnigen Biberacher Jazzpublikum, welches allerdings auch die beiden deutschsprachigen Zugaben „Es ist windig heut‘“ oder „500 Millionen“ aus der CD-Produktion „Poesiealbum“, vielleicht auch wegen ihrer Hintergründigkeit, durchaus zu würdigen wusste.
gez. H. Schönecker
