Archiv – Seite 97 – Jazzclub Biberach e.V.

29.10.2004: Martin Müller & Trio feat. Viviane de Farias

Martin Müller & Trio – featuring Viviane de Farias

Wie sanfter Regen auf meinen Rosen

Ausdrucksstark und poetisch, bildhaft und randvoll mit Samba begeisterte Martin Müller an der Brasilguitar mit seinem Trio und der charismatischen brasilianischen Sängerin Viviane de Farias die zahlreich erschienenen Gäste im jüngsten Konzert des Biberacher Jazzclubs.

Wer nicht bereits als Fan brasilianischer Musik in den Jazzkeller gekommen war, der ist auf jeden Fall als solcher gegangen. Die Poesie und das Temperament dieser Musik und die Überzeugungskraft der Vollblutmusiker, die sie weihevoll zelebrierten schlugen jeden Hörer unmittelbar in ihren Bann. Des Bandleaders perlend-virtuoses Gitarrenspiel, besonders in den solistisch den beiden Sets des aktuellen Programmes „Rua Baden Powell“ vorangestellten Präludien,  holte die Leute im profanen Alltag ab um sie sogleich in eine glutvolle brasilianische Traumwelt zu entführen. Martin Müller und sein Trio, bestehend aus dem ehemaligen Biberacher Saxophonisten und Landes-Jazz-Preisträger Jochen Feucht, dem Ex-Bassisten der Fantastischen Vier – Marcus Bodenseh sowie dem Schlagzeuger Dirik Schilgen, spielten sich in wechselnder Besetzung, vom Solo bis zum Quintett, vor allem mit Titeln von Baden Powell, Antonio Carlos Jobim (u.a. „Regen auf meinen Rosen“) sowie Eigenkomposition von Martin Müller in die Herzen eines aufnahmebereiten, dankbaren Publikums. Selten gab es im Jazzkeller Musik mit so viel Seele zu hören, gespielt von Interpreten, die ihren Stil und ihren inneren Frieden gefunden haben, die musikalisch überzeugen, weil sie von ihrem eigenen Weg überzeugt sind.

Ob sich die verdienstvolle Rektorin der Karlsruher Musikhochschule, Fany Solter, vor einigen Jahren die weitere Karriere ihres eigens aus Ipanema, der Wiege des Bossa Nova in Rio de Janeiro nach Karlsruhe importierten, höchst talentierten angehenden Opernstars Viviane de Farias so vorgestellt hat, wie es letztlich kam, ist nicht überliefert. Nach einem Studium in der renommierten Karlsruher Opernklasse, einem Stipendium an der Akademie Schloss Solitude und einigen Jahren im Opernbetrieb fand die Ausnahmekünstlerin glücklicherweise zu ihren Wurzeln zurück. Virtuose Stimmakrobatik, vom einfühlsam vorgetragenen, schlichten Samba, reanimiert aus dem Geist der brasilianischen Favelas zu schwindelerregenden jazzigen Scatpassagen, von der unverkrampft natürlichen Interpretation der „musika popular de brasiliera“ zur witzigen Koketterie mit den Koloraturen ihrer Opernkarriere, bildet die Basis für eine unwiderstehliche Musik, wie etwa das als zweite Zugabe gegebene „Manha de carneval“, unnachahmlich, unerreicht, reinste Magie und bestimmt die beste Interpretation am Markt. Die eloquente Moderation des Bandleaders und seiner unkompliziert natürlichen Frontfrau taten ein Übriges um den Abend zu einem besonderen Erfolg werden zu lassen.

09.10.2004: M.u.T. – Männer und Tenöre

Ungewöhnliches Konzert

Sechs befrackte Herren lassen die „Comedians“ aufleben

BIBERACH – Ein ungewöhnliches Konzert boten sechs befrackte Her­ren mit professioneller Präzision und viel Charme zum Entzücken ei­nes begeisterten Publikums. Das Biberacher Debüt der Gruppe als Veranstaltung des Jazzclubs war harmoniesattes Beispiel für exzellent einstudierten Ensemblegesang.

Der Jazzkeller war viel zu klein für das große Publikumsinteresse; die Gruppe hätte einen größeren Raum, wie den an diesem Abend nicht anderweitig gebrauchten Pestalozzisaal verdient gehabt.

Die Tenöre Thomas Mentzel und Peter Schmidt, die Baritone Ralph Kolars und Markus Stürzenhofecker, der Bass Klaus Hinrichs und der ausgezeichnete Pianist Alexander Matt konzertieren seit 2003 mit musikalischen Leckerbissen mit dem Schwerpunkt auf die Original-Songs der Comedian Harmonists. Sie begeistern ihr Publikum mit einem flotten Ensemblesound, Musikalität, mit Witz, wenn nötig auch mit durchaus ironischem Pathos, mit manchmal ungewöhnlichen Arrangements.

Ralph Kolars sprach zwischen den Gesangsnummern überleitende Texte. Sie sangen leichthändig, mit schön geführten Naturstimmen, präziser Intonation, kontrolliert sparsa­mem Vibrato, guter Sprachverständlichkeit; sie gestalteten hintersinnig und vordergründig, breitflächig und ziseliert, brachten ihr Publikum in Stimmung. Immer wieder schön, die Highlights der legendären Comedian Harmonists zu hören: „Veronika der Lenz ist da“„ ,Mein kleiner grüner Kaktus“, „Schöne Isabella“, „Ein Freund…“, unmöglich alle aufzuzählen. Rap der Dreißiger, als er noch nicht so hieß und kunstvoll gesungen und nicht – wie heute – bloß plump geschrieen wird.

Dazu Ausflüge in andere Genres: Zum Einstieg eine Allemande aus der Renaissance mit höchst modernem Text. Das Volkslied „In einem kühlen Grunde“ dann lyrisch und gefühlsbetont, „Can’t buy me love“ sehr schottisch, elegisch „The lonesome road“, klassisch ein „Ungarischer Tanz“ von Brahms und das berühmte „Menuett“ von Boccherini.

Die sechs befrackten Herren sangen englische und deutsche Texte, auch Vokalisen, immer stilsicher, ästhetisch, gelegentlich körpersprachlich unterstützt durch angedeutete Tanzschritte und sparsame Requisiten. Das gut gelaunte Publikum ging begeistert mit und erklatschte sich zwei Zugaben, natürlich von den Comedian Harmonists.

 

Günter Vogel, in der Schwäbischen Zeitung vom 11. Oktober 2004

 

17.09.2004: Barbara Dennerlein mit Oldtime Blues & Boogie Duo

Jazzclub-Highlight mit Dennerlein, Netzer und Scheytt im „Abdera“

Von Kopf bis Fuß auf Blues eingestellt

Knapp 200 Dennerlein-, Hammond-, Blues- und Boogiefans mussten in der Biberacher Kulturhalle „Abdera“ rund zwei Stunden auf den angekündigten Höhepunkt warten: das „Hammond, Blues & Boogie-Projekt“ mit Barbara Dennerlein, Ignaz Netzer und Thomas Scheytt, die nach langen Präliminarien im dritten Set doch noch zusammen fanden.

Der charismatische Vollblut-Bluesmann Ignaz Netzer, als launiger Conferencier nicht minder überzeugend, denn als exzellenter Bluesharp- und Gitarrenspieler mit einer rabenschwarzen, erdig-rauchig abgemischten Bluesstimme, gänsehautverursachenden Bluesinterpretationen zwischen tiefster Melancholie und nonchalanter Parodie, versetzte von Beginn an seine Fans in helles Entzücken. Die musikalische Zusammenarbeit mit dem eher zurückhaltend agierenden, gleichwohl brillanten Boogiepianisten Thomas Scheytt erwies sich als äußerst fruchtbar, die eher untypische Besetzung wirkte keinen Moment störend. Das drahtig-schlank gemixte digitale Honkytonk-Piano vertrug sich bestens mit den etwas wärmeren und fülligeren Sounds der Gitarren, der knarzigen Bluesstimme und den solitären Bluesharp-Klängen von Ignaz Netzer. Die Fusion von „Oldtime Blues & Boogie“ im ersten Set gelang überzeugend, wirkte authentisch und begeisterte rundum.

Starorganistin Barbara Dennerlein auf ihrer bald 50 Jahre alten, allerdings mit allen Schikanen modernster Technik angereicherten Hammond B3 zelebrierte den zweiten Programmteil – Solo. Überwiegend mit kantengerundeten Eigenkompositionen, die früheres Esprit und Experimentier­freude nur noch in Ansätzen erkennen ließen, trat eine gereifte, international arrivierte Künstler­persönlichkeit auf das Parkett, die bar jeden künstlerischen Rechtfertigungsdrucks und leerem Virtuosengetue, dem erwartungsvollen Publikum zeitgemäß swingende Einblicke in Teile ihres Seelenlebens gestattete. Dennerlein spielte dabei so relaxt, geschliffen und gediegen, dass es ästhetisch bereits wieder grenzwertig wirkte: auf Hochglanz polierter, oberflächlicher Recycle-Swing, zeitgemäßes Swing-Revival. Tiefe und Intensität gewann ihr Spiel erst mit dem Memorial-Blues für zwei verstorbene Freunde und von da an begannen alle Fäden sinnfällig zusammen zu laufen: Auch im Erfolgsjazz ist Swing ist eben nicht alles – All that blues.

Die musikalische Botschaft lautete, ähnlich wie in dem legendären Bluesbrothers-Movie: Blues ist die Seele des Ganzen, ohne Blues kein Jazz, ohne Schmerz kein richtiges Leben, ohne Tiefen keine Höhen. Musikalisch eingelöst wurde diese Botschaft überzeugend im heftig beklatschten finalen Set „Hammond-Lady meets Oldtime Blues & Boogie Duo“. Nach virtuosen Höhenflügen und langjährigen multi-stilistischen Erfahrungen und kommerziellen Erfolgen führte ihr Weg zurück zu den Wurzeln, zur Hommage an den Blues. An dieser Fusion, der Versöhnung von eklektisch- artifiziellen Erfolgen auf internationalem Parkett und bodenständiger Authentizität wird weiterhin zu arbeiten sein, der Reifungsprozess hat begonnen.

 

gez. Dr. Helmut Schönecker

 

25.06.2004: FFB Fischer Fischer Bardenberg

Konzertkritik FFB am 25.06.2004 im Jazzkeller 

Drei Spitzen spielten

(wv) — F F B. Das steht für Fischer, Fischer und Bardenberg. Die gerechten Vornamen lauten: Peter, Thomas und Philipp. Das alles sollten wir uns merken, hinfort. Denn die drei haben geswingt und gerockt – im „Jazz-Keller“ der Biberacher Musikschule. Und die Decke, ja, hob sich. Sanft.

Der späte Juniabend, warm und schön, wehte von draußen herein. Er wurde eine Verlockung. Muss ich sagen, wonach sich die Seele sehnt? Im Juni nach Mai wohl schon. Das, was sich nach 20 Uhr 30 begab, beim Einstimmen der drei, ward dem offenen Ohr unmittelbar ahnbar. Für die Versammelten galt es: Wach zu werden für einen Sound, einen Rhythmus, eine aufschwingende, in Höhen sich nie verirrende Melodei.

Ja, es jaulte, raunte, johlte. Und teilte sich in jedem Ton mit. Es sprach. Es versank und erstand – : Musik, dies wohl geheimnisvollste Wort unserer deutschen Sprache. Wir alle kämpfen darum und – sie spielten. Im Keller, wo schon so manches begann.

Wenn sich Kapriolen begeben, aus der Gitarre, wenn der Bass untergründig einen holt und das Schlagzeug gehörig drauf haut, wenn das in die Beine fährt, unter der Haut kribbelt und der Zuhörer dabei nicht ausflippt, dann muss das schon in Ordnung gewesen sein. Es war mehr als das. Es hat uns über drei Stunden vereint. Im geheimen Tanz, nach dem die Seele sich sehnt. Hätte Deutschland diese Spitzen gehabt, na dann. Die erste CD ist im Anmarsch. Wir brauchen nicht einmal gespannt zu sein. Die Drei sind hinreißend und strotzen vor Zitaten, schleudern sie mit Jux und Feix in den Himmel und sind so bescheiden dankbar, wenn man ihnen zujubelt – wie wir, die es frenetisch taten.

Schwäbische Zeitung 30.06.04

28.05.2004: Veronica Gonzales Trio

SZ vom 01.06.04 zum Konzert des „Veronica Gonzales Trio“ 

Jazzclub Biberach: „Guitar Nights“

Eine fesselnde Konzertnacht

BIBERACH (wv) – Wolfgang Scheffler, der Vorsitzende des „Jazzclubs Biberach“, durfte vollauf zufrieden sein. Die fein dekorierten Tische vor dem „Kapuzinerhof“ waren besetzt zum Konzert des „Trio Veronica Gonzales“. Das Kennerpublikum kam vorpfingstlich voll auf seine Kosten.

Open air begann es. Mond und Sterne bildeten ein gutes Dach für ein musikalisches Ereignis der exotischen Sonderklasse. „Es ist fast wie in Chile“, flachste die famos aufgelegte Leaderin Veronica Gonzales, „und es ist etwas kühl wie bei uns im Winter.“ Für rechte Innentemperaturen sorgte sie selbst. Mit funkelndem Augenspiel nahm die Chilenin ihre Combo und das Publikum gekonnt in den Griff.

Sie gurrte, hauchte, fiepste, scattete, schwang melisch durch alle verfügbaren vokalen Register auf in höchste Tonbereiche, dass es einem den Atem verschlug. Sie begleitete sich selbst mit der Wassertrommel, spielte die Indianermandoline Charango: Ein ganzer Urwald voller vitaler und skurriler Töne wurde wach.

Ihr zur Seite unterstützt sie seit Jahren Inga Rincke, die in allen Rhythmen perfekte Percussionistin. Was sie auf ihrem facettenreichen Instrumentarium an Samba-, Rumba-, Bossa nova-, Flamenco- und auch Bluesklängen hervorzauberte, war mitreißend. Markus Büttner, mit eigenen Kompositionen vertreten, gab harmonisch runden Halt und setzte seine Akzente. Stoisch bis zu seinem bravourösen Solo hielt sich Bassgitarrist Paul Harryman zurück.

„Latin flair“ pur, auch als das begeisterte Publikum ins Foyer des Hotels umgezogen war. Die Reihen swingten und schnippten bis gen Mitternacht. „Multikulti“ für jeden Goût servierte die Küche: Speisen und Getränke, ‚event-gerecht‘ aus Chile. Bravo.

 

30.04.2004: Jazz Pistols  

Gutgelaunte Jazz Pistols im Jazzkeller

Psychedelischer Fusion Jazz wie aus der Pistole geschossen

Schnörkellos, direkt und unmittelbar, geradeheraus und ungeschützt, offen, ehrlich und dabei ziemlich laut, das waren die dominierenden Eigenschaften der Jazz Pistols aus dem Rhein-Neckar-Raum, die im gutgefüllten Jazzkeller die letzte Aprilnacht verheizten und dabei ihre aus weitem Rund angereiste Fangemeinde hell begeisterten.

Kein geruhsamer Wochenausklang, kein seicht plätschernder Unterhaltungs-Swing, kein vergeistigtes Flechtwerk musikalischer Ornamentik oder anderweitiges Drumherum waren angesagt. Stattdessen bauten die Jazz Pistols eine schnelle Direktschaltung auf, zu jener Stelle hinter dem Solarplexus an der gemeinhin das Zentrum des Fühlens angesiedelt ist. Musik für den Bauch, aus dem Bauch und wohl auch von Herzen kommend. Völlig „straight“, mehr dem Funk und Rock denn dem Jazz verpflichtet, höchst leidenschaftlich und mit einer Überfülle von Eindrücken aus einer gerade abgeschlossenen mehrwöchigen Afrika-Tournee angereichert, fesselten die drei Instrumentalvirtuosen ihr Publikum irgendwo zwischen  Zawinuls Birdland, Chick Coreas Spain und einigen Bela Fleck – Titeln mit lebendig groovenden Eigenkompositionen. Vor allem der mit einer nimmermüden „Mannemer Gosch“ ausgestattete Thomas „Lui“ Ludwig durchglänzte mit seinen trollig-originellen An- und Abmoderationen und seinen zupackenden Drum-Grooves im Stile des frühen Phil Collins den unkonventionellen Auftritt der Jazz Pistols.

Es gibt wenige gute Fusionbands in unseren  Tagen, die Jazz Pistols gehören aber unzweifelhaft zu den besten Formationen dieses Genres, das seine musikalische Heimat zwischen Jazz und Rock findet. Ein offenes Herz für gute Musik jeglicher Coleur und die künstlerische Ausdruckskraft und Energie scheinbar so Widersprüchliches wie Jazz und Rock zusammen zu zwingen machen das Trio zu etwas ganz Besonderem. Gitarren-, Bass- und Schlagzeug-Soli im Stil der ganz großen Rockheroen sind für die Jazz Pistols ebenso eine Selbstverständlichkeit wie die perfekte Beherrschung eines Hightech-Equipments allererster Güte. Schimmerten bei Stefan „Ivan“ Schäfer (Fender und Ibanez-Gitarren) Vorbilder wie Jimi Hendrix und Carlos Santana durch, zeigte sich der ehemalige Berklee Stipendiat Christoph Victor Kaiser (sechssaitiger Fodera-E-Bass)  den Basslegenden Jaco Pastorius und John Patitucci verpflichtet. Die von Kaiser perfektionierte spezielle Spielweise des „tapping“ erlaubte ihm auf seinem Sechssaiter Basslinien mit Harmonien zu verbinden und somit echt polyphon zu spielen, ohne dass der Sound ins mulmige  abrutschte. Schäfer ließ in seinen  rasanten Improvisationen nicht nur die Herzen aller Gitarristen höher schlagen. Erst nach zwei Zugaben durften die temperamentvollen Jazz Pistols von der Bühne. (gez. Dr. H. Schönecker)