Archiv – Seite 87 – Jazzclub Biberach e.V.

23.12.2008: Rootbears

Rootbears Weihnachtskonzert 2008

Zu Weihnachten gibt’s jazzige „Rootbear“-Leckereien

BIBERACH – Voll besetzt ist der Jazzkeller gewesen – samt seiner Zwischenräume, als an Heiligabend die „Rootbears“ musikalische Weihnachtsgeschenke brachten. Aber auch die Fans brachten Geschenke heran: Applaus, Begeisterung und jede Menge Sympathie.

Noch ist unerforscht, womit dieser klingende „Bären-Sechser“ sein Publikum am meisten begeistert. Ist es der abriebfeste Boygroup-Charme, wohltuendes Understatement, die Wahl der Stücke, deren nonchalante Präsentation mit dem stets prickelnden Flair der Improvisation? Oder aber der geistreich-hintersinnige Witz, der sich platitüdenfrei durchs Programm zieht und team-intern wie ein Federball weitergegeben wird?

Was die Jungs musikalisch drauf haben, zeigt sich im „Handling“ der Stücke. Swing und Jazz würzen die klingenden Weihnachtsplätzchen gleichermaßen und machen sie zu Unikaten. Gitarrenverstärkt durch Christoph Reck hat sich der Gruppenklang reizvoll verändert, was sich schon im ersten Stück zeigte, das Martin Schmid mit einem flotten E-Bass-Solo anwarf. In versiertem Dialog von Bass und Gitarre punktete Reck mit apart-herben Akkorden und Hanspeter Schmid zeigte, wie gespürvoll man eine Posaune in „gestopftem Piano“ herunterzähmen kann.

Für die landesweit verstreuten Akteure sind Proben ein Problem. Deshalb spielen sie überwiegend „alte“ Stücke. Sie klingen aber nicht aufgebacken, sondern ofenfrisch dank einfallsreicher Zubereitung. Hinter vordergründig wirkender Lässigkeit aber findet man, vor allem in den Synchronpassagen, harte Disziplin. Rüdiger Przybillas virtuose, oft synkopenträchtige Beiträge sind tonale Pyrotechnik inklusive deren Sprühpotential.

Mit „Oh Weih, oh Weih“ lieferten die Wurzelbären ihre obligate Gesangsnummer ab, bei der Peter Schmidt seine falsettierbare Stimme registerbruchfrei bis zum Knabensopran hinaufzauberte – zweistimmig unterstützt durch Magnus Schneider und Martin Schmid. Drei Alphörnern, zusammengeflanscht aus Baumarkt-Restposten, rangen die Musiker erstaunliche Töne ab. Gitarrist Heiko Grom präsentierte als Star-Gast zusammen mit Reck Saitenfeuer in beeindruckender Ausstrahlung und unaufgesetzter Qualität. Fliegender Melodieführungswechsel ließ beiden Raum für zündende Akkordeinwürfe. Im letzten Stück, dem einzigen Latin, „Swinging the Samba“, legte Peter Schmidt per Schlagzeug in zwingendem Temperament den drivenden Schritt vor – stets bassunterstützt durch Bruder Martin Schmid, der die Gruppe fest im metronomischen Griff hatte und obendrein leichtfüßige Soli beisteuerte.

Mit der zweiten Zugabe, dem von Hanspeter Schmid einkerzig posaunierten „Stille Nacht“, durch Magnus Schneider auf Piano-Plüsch gebettet, wurden die Fans auf 2009 vertröstet, wo die Bären vielleicht zweimal zuschlagen werden.

Dieter Schefold in der Schwäbischen Zeitung vom 29.12.2008

 

12.12.2008: Wolfgang Lackerschmid Trio (Jazz für Kinder)

Wieland-Gymnasium „Jazz für Kinder“ – Interaktives Gesprächskonzert

Musikalische Interaktion in wohldosierten Häppchen

Rund 200 Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 und 6 des Wieland-Gymnasiums hatten am Freitagvormittag in der Aula die Gelegenheit, im Rahmen der von der Landesstiftung Baden-Württemberg, der LBBW und dem Landesjazzverband geförderten Projektreihe „Jazz für Kinder“, ihren musikalischen Standort neu zu bestimmen. Für rund die Hälfte der Kinder war dies nach eigenem Bekunden das erste Live-Konzert überhaupt.

Der Weltklasse-Vibraphonist und Komponist Wolfgang Lackerschmid, pädagogisch und künstlerisch befähigt durch seine langjährige musikalische Zusammenarbeit mit der „Augsburger Puppenkiste“, durch etliche Hörspiele für Kinder und vor einigen Jahren gar einem eigens für das Wieland-Gymnasium komponierten Schulmusical „Labyrinth“, nahm die schwierige Aufgabe auf sich, den „mp3-geprägten“ und „bohlengeschädigten“ Kids eine völlig fremde Welt näher zu bringen.

Die anfänglichen Erwartungen an das ungewöhnliche Event hätten gar nicht weiter auseinander liegen können. Das zum Abschluss einer klassenarbeitsreichen Woche eher auf „Happening“ eingestellte jugendliche Publikum war zwar sofort dabei, klatsche mit und staunte über das ohne große Lautsprecherboxen und glitzernde Showeffekte so ganz normal auf der Bühne angetretene „Wolfgang Lackerschmid Trio“. Neben dem Komponisten war dessen Frau, die gefragte Jazzsängerin Stefanie Schlesinger und der brasilianische Gitarrist Pedro Tagliani mit von der Partie. Lackerschmids launige Erklärungen über das, „was denn Jazzmusiker so tun“, stießen auch auf große Aufmerksamkeit. „Jazzmusiker nehmen ein meist bekanntes Musikstück, eine eingängige Melodie und lassen dann alles weg, was ihnen daran nicht gefällt“, kolportierte Lackerschmid und trat gleich darauf mit „Leise rieselt der Schnee“ den musikalischen Beweis in Form eines wunderschönen, eingängigen Jazz Waltz an. Erkältungsbedingt mit etwas „rauchiger“ Stimme aber dadurch umso jazztypischer intonierte Stefanie Schlesinger – in stilsicherem Timing keinen Ton dahin setzend, wo er notationstechnisch üblicherweise steht – den melodischen Rahmen, innerhalb dessen sich Lackerschmid und Tagliani auf seiner 7saitigen Gitarre mit ihren virtuosen Improvisationen um all das herum drückten, „was ihnen nicht daran gefiel“.  Mit der Vertonung eines eher satirisch gemeinten, etwas ketzerischen Rilkegedichtes waren die 11- und 12jährigen Schülerinnen und Schüler dann aber wohl doch etwas überfordert. Die komplexe und eher artifiziell wirkende Musik des Stückes brachte zu wenig Action und Abwechslung um die Kids wirklich zu fesseln. Es spricht für die Professionalität Lackerschmids, dass er danach sein Publikum sofort aktiv ins musikalische Geschehen einbezog, indem  er etwa einen auf die beiden Saalhälften verteilten, zeitversetzten Claves-Rhythmus als Grundlage für seine Improvisationen inszenierte. Als besonders fruchtbar erwies sich jedoch eine blueslastige „Jamsession“, bei der – nach einigem Zögern – ausgerechnet eine der kleinsten Fünftklässlerinnen den ersten Schritt ans Mikrofon und vor das große Publikum wagte um nach Vorgabe von Lackerschmid und Schlesinger ein-  oder zweitaktige Scat-Motive (a la „Minnie, The Moocher“) im Wechsel mit dem nachahmenden Publikum zu improvisieren. Rauschender Beifall und eine nicht enden wollende Kette von „Nachahmungstätern“ ließen die Veranstaltung, die am Abend im Jazzkeller noch ein konzertantes Nachspiel für die interessierten Eltern finden sollte – kurzweilig zu Ende gehen.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

12.12.2008: Wolfgang Lackerschmid Trio

Jazzkeller: Konzert mit dem „Wolfgang Lackerschmid Trio“

Von Bachschen „Gigues“ und mozärtlichen „Sauschwänzen“

Volle Bude, volle Begeisterung, volles Programm war am Freitagabend im Jazzkeller angesagt. Die aufgrund des vormittäglichen interaktiven Gesprächskonzertes im Rahmen der von der Landesstiftung Baden-Württemberg, der LBBW und dem Landesjazzverbandes geförderten Veranstaltungsreihe „Jazz für Kinder“ am Wieland-Gymnasium angereisten Jazzer boten interessierten Eltern und Jazzfans auf Einladung des Biberacher Jazzclubs einen eindrucksvollen Querschnitt ihres hochkarätigen Repertoires.

Neben vielen kleinen Kostbarkeiten, Stücke von oder für Chet Baker, Irving Berlin und anderen Titeln seines mittlerweile ziemlich umfänglichen Opus lieferte Lackerschmid vor allem mit einer Komposition über Richard Rodgers „My Favorite Things“ aus dem Broadway-Musical “The Sound of Music” einen raffinierten, komplex-hintergründigen  Beitrag. Das Highlight aus dem Musical über die berühmte Trappfamilie, dessen Harmoniefolge – wie Lackerschmid anlässlich seiner Vorbereitungen für einen musikalischen Beitrag zum Bachfestival Leipzig im Jahr 2006 entdeckte – weitestgehend mit der aus Johann Sebastian Bachs “Gigue” aus der Englischen Suite No. 5 identisch ist, inspirierte Lackerschmid zu einer frechen Gratwanderung zwischen zwei musikalischen Welten. Dieser „seriöse Spaß“ wurde nur noch von den als Auftragskomposition von Lackerschmid vertonten Mozartbriefen an dessen Augsburger Bäsle getoppt. Die deftig-kräftige Sprache Mozarts fand in Lackerschmids intellektuellen musikalischen (An-)Spielereien eine kongeniale Entsprechung aus der auch und gerade die ästhetische Auseinandersetzung der grundverschiedenen Genres ihre Kraft bezog. Der lapidar-melancholische stimmliche Zugriff von Stefanie Schlesinger erwies sich dabei als ideales Medium hintersinnigen Gedankengutes. Besonders im zweiten Set sprühten die Akteure förmlich auf der Bühne. Der Schalk blitzte aus den Augen des Bandleaders, der, förmlich über seinem Vibraphon schwebend, vom rhythmisch groovenden Begleiter in fließenden Übergängen zum virtuosen Improvisator changierte.

In dem brasilianischen Spitzengitarrero Pedro Tagliani, der auf seiner 7saitigen Spezial-Gitarre auch das in der Besetzung fehlende Bassregister abdeckte, fand Lackerschmid einen souveränen Mitstreiter. Unterstützt durch eine fußschalterbediente „Loopmaschine“, die es ihm erlaubte, mehrere musikalische Ebenen übereinander zu schichten, entfaltete Tagliani harmonische Begleitstrukturen in orchestraler Dichte, groovende Basslinien und eher geräuschhafte Rhythmuspatterns über denen er als Krönung seiner Schöpfungen schließlich seine hochvirtuosen Improvisationen erblühen ließ. Die Interaktion mit den Mitmusikern funktionierte dabei, meist sogar blicklos, in einer Perfektion, die neben großem Fingerspitzengefühl und langjähriger Übung vor allem auf einer gemeinsamen Wellenlänge beruhen dürfte. Mehrere Zugaben hinterließen ein restlos begeistertes Publikum.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

28.11.2008: Arkady Shilkloper

Konzert für Hornsolo und Live-Elektronik im Jazzkeller

Arkady Shilklopers „lustige Streiche“

Dass Arkady Shilkloper zu den musikalischen Ausnahmeerscheinungen der multilateralen Weltmusik unserer Tage zählt, zeigt schon sein langjähriges Mitwirken in den künstlerisch renommiertesten Ensembles unserer Zeit, dem „Moskau Art Trio“ oder auch dem „Vienna Art Orchestra“.  Dass er aber auch als Solist mit seinem Wald-  oder Flügelhorn – das angekündigte Alphorn musste aus logistischen Gründen leider in Russland verbleiben – gänzlich ohne musikalische Begleitung einen langen Konzertabend zu einem kurzweiligen Erlebnis höchster künstlerischer Erfüllung machen kann, haben die wenigen glücklichen Besucher beim Jazzkonzert am vergangenen Freitag erfahren dürfen.

Voller Verzückung lauschten sie den facettenreichen Klängen des unkomplizierten, sympathischen Kosmopoliten, der, halb Russe, halb Jude, mit seinem Lebensmittelpunkt in Wuppertal musikalische Eindrücke der unterschiedlichsten Strömungen und Genres in seinem Personalstil überzeugend und bruchlos integrierte.

In perfekter Symbiose mit seinen fußschalterbedienten Multieffektgeräten ließ Shilkloper faszinierende Klangwelten entstehen. Die oft kritisierte „Entmenschlichung“ der Musik durch ein Zuviel an elektronischem Schnickschnack wurde bei Shilkloper zu einer echten „Live-Elektronik“, zu einem sinnvoll genutzten musikalischen Werkzeug zur Erweiterung der spieltechnischen Möglichkeiten des eigentlichen Musikinstrumentes verwandelt.

Kurze, „coram publico“, mit perfektem Timing eingespielte bzw. digital aufgenommene „Samples“ wurden so zu ostinaten Begleitpatterns, oft auch mehrfach übereinander geschichtet, über deren rhythmisch groovenden Fundament sich schließlich als krönender Höhepunkt die virtuose Improvisation des Künstlers spannte.

Ergänzt um einen „Harmonizer“, der die einstimmigen Melodielinien in einen mehrchörigen Klang verwandelte sowie vielfältige digitale Hall- und Echoeffekte, die den Klangraum aufweiteten und in die Tiefe staffelten, gestaltete Shilkloper faszinierende Klanggemälde.

Ob – als Konzession an das „klassische“ Jazzpublikum – in Glenn Millers bekanntem „Chattanooga Choo Choo“ die Klangkulisse einer Dampflokomotive (für den Titel wurde 1942 die erste „Goldene Schallplatte“ der Musikgeschichte verliehen)  oder in einer surrealen Eigenkomposition unter dem Titel „Virgin Ocean“ das Wellenrauschen und die Walgesänge, Arkady Shilkloper war immer souveräner Meister des Geschehens. Seinen gestalterischen Zugriff innerhalb der mit elektronischer Hilfe errichteten Klangebäude demonstrierte er durch eine Zitiertechnik, die es ihm nicht nur erlaubte Brücken zwischen den verschiedenen Musikstilen zu schlagen, sondern vielfältige, oft auch humoristische Anspielungen zu setzen. Mit dem Zitat der berühmten Hornstelle aus Richard Strauss’ sinfonischer Dichtung „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ tat Shilkloper denn auch musikalisch offen kund, was seine Körpersprache schon lange vorher verraten hat: unverbrauchte Spielfreude, unverstellter, mitunter hintergründiger Spaß am eigenen Tun, lebendige Kommunikation und Interaktion mit einem aufgeschlossenen Publikum, höchste künstlerische Erfüllung. Mehrere, gern gewährte Zugaben rundeten einen Konzertabend ab, der mehr Publikumszuspruch verdient gehabt hätte.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

17.10.2008: Paata Demurishvili

Paata Demurishvili

Konzert der Sonderklasse vor vollem Haus

Mit einer schlichten Tonrepetition im feinsten Pianissimo, wie aus weiter Ferne, begann eines der ungewöhnlichsten Konzerte der letzten Jahre im Biberacher Jazzkeller. Eine Variation über Johann Sebastian Bachs bekannte Choralbearbeitung „Jesu, meine Freude“ entführte die in Scharen gekommenen Zuhörer in eine fantastische musikalische Parallelwelt, in welcher der barocke Meister noch zu leben schien und als mächtiger Improvisator komplexe polyphone Werke aus dem Stegreif schuf. Versatzstücke aus den verschiedensten Epochen einschließlich des 20. und 21. Jahrhunderts verschmolzen unter dem gestalterischen Zugriff des in Deutschland lebenden georgischen Tastenkünstlers Paata Demurishvili zu einem ebenso ungewöhnlichen wie wunderschönen Konglomerat zeitloser Musik. Gleich darauf öffnete der in Mannheim unterrichtende Klavierprofessor mit Duke Ellingtons „Caravan“ eine neue Seite in seinem Stil-Multiversum. Noch in den leisesten Passagen fein strukturiert und dynamisch binnendifferenziert, begann der Steinway unter dem höchst kantablen Spiel seines Meisters traumhaft zu singen. Er sang von fremden Welten, in denen Flügel wie vielstimmige Symphonieorchester klingen, disparate Stilrichtungen wie Klassik und Jazz sich in dialektischer Synthese zusammenfinden, hektische Mitteleuropäer in relaxter Melancholie versinken und scheinbar so verschiedene kulturelle Welten wie die von Georgien und Deutschland sich im ästhetischen Einklang wieder finden.

Für Verblüffung sorgte zunächst die Ankündigung Demurishvilis, nach der Pause ein Wunschkonzert geben zu wollen. Das Publikum möge bitte seine Wünsche äußern. Aus den eingegangenen Vorschlägen wählte der selbstbewusste Künstler dann acht Nummern aus und improvisierte in einer Weise drauflos, die den Atem stocken ließ. Die deutsche Hymne wurde, von allem überflüssigen Pathos entkleidet, zu einer groovigen Jazznummer mit einem Schuss lateinamerikanischer Rhythmen, die Liedwünsche der georgischen Gäste zu einer feinsinnigen Melange aus Folklore und musikalischem Spaß, das c-Moll Präludium aus dem wohltemperierten Klavier von Bach zu einem sublimen symphonischen Werk genialischer Unerhörtheit. Über der Grundfolie des oft als „Nähmaschinen-Präludium“ geschmähten Klavierstückes brachen immer wieder, stilistischen Eruptionen gleich, anachronistisch kontrastierende Akkordstrukturen hervor, die Bachs virtuose Dreiklangsstudie in einen völlig neuen, ungleich größeren Sinnzusammenhang stellten.  Einer Karikatur gleich erschienen in diesem ungewöhnlichen Opus auch einige Einsprengsel des nach Moll gewendeten berühmten C-Dur-Präludiums von Bach, das Charles Gounod, mit einer eingängigen Melodie versehen, zum Ave Maria „verschlagert“ hat. Klang hier gar so etwas wie augenzwinkernde Selbstkritik über das ungenierte Filetieren „schöner Stellen“ der Musikgeschichte an? Sei’s drum. Es hat eine Menge Spaß gemacht und Standards gesetzt.

Gez. Dr. Helmut Schönecker