Archiv – Seite 80 – Jazzclub Biberach e.V.

15.04.2011: Isolde Werner & Heartstrings

„Heartstrings“ – Classic meets Jazz

Isoldes Lamento vor vollem Haus

BIBERACH – Mit ihrer Konzeptformation „Heartstrings“ lockte die Ulmer Komponistin, Gitarristin und Sängerin auf Einladung des Jazzclubs zahlreiche Fans in den Biberacher Jazzkeller. Die ungewöhnliche Besetzung aus Violine, Cello, Kontrabass, Gitarre und Schlagzeug  ergab denn auch nicht nur eine aparte Klangkulisse sondern stand für das anspruchsvolle Bandkonzept, Klassik und Jazz zusammen zu bringen. Der renommierte  amerikanische Jazzschlagzeuger Bill Elgart, seit vielen Jahren in Ulm lebend, stand dabei mit seinen 69 Jahren zusammen mit dem erst 20jährigen Biberacher Kontrabassisten Matthias Werner primär für den jazzigen Anteil der Stilmischung, während Violine (Uli Karlbauer) und Cello (Veronika Frauendienst) auch in ihrer Spiel- und Zugriffsweise für den klassischen und ausnotierten Part standen. Das Bindeglied dieser grundverschiedenen Welten verkörperte die Bandleaderin Isolde Werner, die mit diversen Gitarren und eher neutral gehaltener Singstimme die divergierenden Sphären auch klanglich zusammenhielt.

Keine leichte Aufgabe war es jedoch, den musikalischen Zusammenhalt zwischen so breit gefächerten musikalischen Inspirationen und Sinnwelten zu stiften. Vielleicht war die anfängliche Angespanntheit und Unsicherheit Isolde Werners, auch in der etwas holprigen Moderation, der unbewusste Ausdruck dieser bevorstehenden Sisyphusarbeit. Piazolla-Tangos und freie Improvisationen, Barock und Moderne, Gefühl und Verstand waren zusammen zu zwingen. Wo letztere sich im Gleichgewicht befinden, so eine geläufige Definition von Strawinsky, herrscht Klassik.

Sinnfälliger konnte Isolde Werners Konzept, klassische Musik mit Jazz zu verbinden, jedenfalls gar nicht werden, als in der direkten Gegenüberstellung  des Lamentos der tragischen Königin Dido aus Henry Purcells barocker Oper „Dido und Aeneas“ aus dem späten 17. Jahrhundert und dem, durch die junge Judy Garland Ende der 1930er Jahre berühmt gemachten „Somewhere over the rainbow“ aus dem Film „Der Zauberer von Oz“.  Beide Stücke leben aus den intensiven Affekten besonders ihrer Melodik und beziehen ihre ursprüngliche musikalische Bedeutung und Wirkung aus der dramaturgischen Funktion im Werk. Während das chromatische Lamento der unglücklich verliebten Dido, der Gründerin von Karthago, über die Abreise des geliebten Aeneas, dem späteren Gründer von Rom, jedoch einem tragischen Helden-Ende zustrebt, markiert Dorothys heiter-sentimentales und diatonisch-schlichtes Aufwachlied das Happy End einer harmlosen Kindergeschichte im Traumland hinter dem Regenbogen. Die beiden so gegensätzlichen Ausdruckswelten schienen in der Interpretation durch Isolde Werners „Heartstrings“ fast gänzlich aufgehoben. Während man im Lamento die seelische Zerrissenheit einer aufgewühlten, verzweifelten Dido vermisste, fehlte – erfrischender weise – in „Somewhere over the rainbow“ das falsche Sentiment aus dem überstrapazierten Hollywood-Schinken. Der Zusammenhalt von Klassik und Jazz durch Isolde Werners Gesang und Gitarrenspiel erschien jedoch, vielleicht auch aufgrund einer suboptimalen Tagesform, nicht unbedingt zwingend. Es entstand kein Classic Jazz, auch keine jazzige Klassik und eben auch keine echte Fusion. Unterhaltend und erfrischend andersartig war das Resultat aber auf jeden Fall. Das Publikum war jedenfalls begeistert und wollte gleich zwei Zugaben, von denen es jedoch  – leider – nur eine bekam.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

18.03.2011: Wolfgang Lackerschmid & Stefanie Schlesinger

Lyric Jazz mit Wolfgang Lackerschmid & Stefanie Schlesinger

Musikalisch-poetische Aphorismen – raffiniert gewürzt und sinnlich dargeboten

BIBERACH – Die Biberacher Stadtbücherei wurde am Freitagabend in einer Veranstaltung des Jazzclubs zum Musentempel an der Schnittstelle zwischen Musik und Literatur. „Lyric Jazz“, vom renommierten Augsburger Künstlerpaar Wolfgang Lackerschmid (Vibraphon, Komposition) und Stefanie Schlesinger (Gesang, Komposition) mit lyrischen Texten von Brecht, Rilke, Lüpertz, Dempf und – etwas weniger lyrisch – von Mozart mit der Ausdruckstiefe und dem Anspruchsniveau von Kunstliedern dargeboten, erfreute und begeisterte ein bunt gemischtes, illustres Publikum im überaus passenden Ambiente des alt-neuen Gebäudes inmitten von Literatur und Vergeistigung.

Geistigem Kraftfutter gleich inspirierten die vitalen Konzentrate von Brechts „Pflaumenbaum“ oder dem „Plärrerlied“ über das von ihm eher ungeliebte Augsburger Volksfest in der poetischen Brechung ihrer Neuvertonung mit ähnlicher Wucht und Wirkungsmächtigkeit wie zu ihrer Entstehungszeit. Kraftvoll und überzeugend, sublim und humoristisch kamen auch die von Peter Dempf neugetexteten und von Lackerschmid vertonten Nummern aus der aktuellen Inszenierung des Augsburger „S’ensemble-Theaters“, dem Musiclett „Jetzt ist er tot, der Hund“ über die Liebe zwischen Bert Brecht und Paula Bannholzer mit Stefanie Schlesinger in der Hauptrolle. Die von Stefanie Schlesinger anmoderierte Nummer über die Verbannung von Paula ins Allgäuer Kimrazhofen, das nach deren Brief an Brecht „vom Nabel der Welt so weit entfernt ist, wie der große Zeh vom Verstand“ bot einen amüsanten Einblick in die Kompositionswerkstatt des Duos. Sprachklang, -rhythmus und -melodie geben der musikalischen Idee im Rahmen des gewählten Genres Form und Gestalt. Die anfängliche „Ladehemmung“ bei der Vertonung des Wortes „Kimrazhofen“ löste sich schließlich unter dem Zeitdruck der bevorstehenden Aufführung in einer jazzigen Persiflage im schwäbischen Sprachidiom in Wohlgefallen auf.

Köstlich auch die Vertonung von Mozarts letztem Brief an sein Augsburger Bäsle, „Bäsle Adieu“, von Stefanie Schlesinger. Die deftige Sprache („Sauschwanz von Drecken“) des genialen Komponisten mit den Augsburger Wurzeln löste bei ihrer Vertonung auch eine gänzlich neue Sichtweise auf viele andere Kompositionen Mozarts aus, unmittelbar demonstriert durch Lackerschmids eigenwillige Adaption der Cherubino-Arie aus Mozarts „Figaro“ für Vibraphon und Stimme. Und was für einer Stimme. In einer Mixtur aus Jazz & Kabarett mit lyrisch-warmem Sopran-Timbre interpretierte die auch in klassischem Gesang ausgebildete Stefanie Schlesinger die berühmte Hosenrolle unter völligem Verzicht auf große Opernattitüde in sympathischer, ganz natürlich wirkender, nuancenreich differenzierter Expressivität, in erfrischender Weise gegen den Strich gebürstet.

Als Zugaben gab es schließlich noch eine Hommage ans traditionelle Jazzpublikum mit Irving Berlins Jazzklassiker „Cheek to cheek“ und Antonio C. Jobims „Dindi“ in urbaner Weltläufigkeit á la Ritz nach Mitternacht zu hören, genau das Richtige zum entspannten Loslassen auf dem Weg ins Wochenende.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

 

25.02.2011: Christoph Stiefel Inner Language Trio

„Fortunas Lächeln“ begeistert Biberacher Jazzfans

Erlesene Permutationen, vielschichtig kreisend, auf mehreren Ebenen im Austausch und in wechselnder Kombination unterschiedlichen Zielen zustrebend, bot auf Einladung des Jazzclubs Christof Stiefels gefeiertes „Inner Language Trio“ aus der Schweiz einem hell begeisterten Publikum im Biberacher Jazzkeller.

Rhythmisch gleiche mit melodisch gleichen Teilen (Talea und Color) unterschiedlicher Länge werden in der Isorhythmik so kombiniert, dass sich die Phasen überschneiden und sich gegeneinander verschoben (z.B.  drei Taleae mit zwei Colores) periodisch wiederholen. Diese in der Motettenkomposition des Spätmittelalters weit verbreitete Technik auf den Jazz übertragen zu haben, darf ohne Zweifel dem Züricher Pianisten Christof Stiefel zugestanden werden, der den Konzertabend auch fast ausschließlich mit isorhythmischen Kompositionen seiner letzten CD „Fortuna’s Smile“ bestritt. Auch wenn bei den seriellen Komponisten des 20. Jahrhunderts oder  in der Abteilung „Minimal Music“ additive Reihungen und isorhythmische Schichtungen in vielerlei Formen zu finden sind, hatte diese eher pejorativ-schematische Kompositionstechnik im Jazz bislang nicht Fuß fassen können. Dem kreativen Prozess  eine rationale Grundlage zu geben, ist im Jazz hingegen von Anfang an eine konstituierende Grundlage gewesen. Die Harmonieschemata als harmonisch-formale Rahmen mit tonalem oder modalem Bezug werden seit nunmehr über einem Jahrhundert mehr oder weniger kreativ jazztypisch ausgestaltet, ohne grundsätzlich in Frage gestellt zu werden, der Free Jazz blieb eine Episode ohne nennenswerte Folgen. Von außen inspirierte Einfälle, akkord- und skalenbezogene Improvisationsschulen, Tanzrhythmen oder Stilmixturen dominieren bis heute das musikalisch-improvisatorische Geschehen. Das essentiell Neue ist immer schwieriger aufzuspüren, der Mainstream verschlingt alles.

Genau hier setzt das quasi revolutionäre Konzept von Christof Stiefel an. Die Wurzeln einer sich zunehmend vom Wort lösenden Rhythmik in der spätmittelalterlichen isorhythmischen Motette bieten ihm einen interessanten  Anknüpfungspunkt für sein intelligentes Spiel mit der Kombination rhythmischer und melodischer Modelle, die ungewöhnliche Zusammenklänge zum Ergebnis und eben nicht als Ausgangsbasis haben. Das klangliche Resultat, hochkonzentriert und virtuos dargeboten, ließ das faszinierte Publikum, welches intuitiv das unerhört innovative Konzept Stiefels zu erfassen schien, in wahre Begeisterungsstürme ausbrechen und am Ende mehrere Zugaben herbei klatschen. Die komplexe Konstruktion und Kombination in den Stücken führte verblüffender weise nicht zu sperrigen Gebilden für das Studierzimmer. Unterhaltsam, abwechslungsreich, spannend, zwischen filigraner Transparenz und hochkomplex verdichteten, oft bis ins Ekstatische gesteigerten Passagen wechselnd, ließ das Trio mit dem satt groovenden Thomas Lähns am Bass und dem energiegeladenen Lionel Friedli am Schlagzeug keine Wünsche offen.

Lebendige Kammermusik und Jazz sind für dieses „Inner Language Trio“ mit seiner ureigenen Musiksprache ebenso wenig Gegensätze wie Verstand und Gefühl. In diesem Sinne ist der ästhetische Zugriff  Stiefels klassisch zu nennen und wie bei den Neoklassizisten um Strawinsky findet auch er das Neue nicht durch ängstliches Bewahren oder völlige Ablehnung des Alten sondern durch lebendige Auseinandersetzung mit und Fortentwicklung der Tradition. Die praktische Umsetzung dieser Ideen in einer Live-Performance stellt höchste Anforderungen an die Musiker des Trios, welche eine an afrikanische Rhythmen erinnernde Vielschichtigkeit mit der melodischen Vielschichtigkeit und Komplexität europäischer Polyphonie verbindet und mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks zusammenhält. Durchaus keine leichte Kost aber mit großer Überzeugungskraft und absoluter Glaubwürdigkeit technisch perfekt serviert, wirkte „Fortuna’s Lächeln“ stimulierend, inspirierend und vor allem rundum begeisternd. Von diesem Stiefel bitte mehr.

 

20.02.2011: Joo Kraus & Tales in Tones Trio

Joo Kraus spielt JacksonSongs

Der Trompeter und das „Tales in Tones Trio“ präsentierten ihre eigenen Arrangements

Von Günter Vogel

BIBERACH – Joo Kraus mit Trompete und Flügelhorn, das in den Jahren 20O1, 2003 und 2006 mit dem Jazzpreis des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnete „Tales in Tones Trio“ mit Ralf Schmid am Klavier, Veit Hübner am Bass und dem Schlagzeuger Torsten Krill haben sich am Sonntag in der Stadthalle großer Songs der Popmusikgeschichte angenommen. Diese hatten sie in eigene Arrangements verpackt, Jazz, Hip-Beat und Soul stilistisch beigemischt und zu untereinander optimal abgestimmten rhythmischen Figuren gestaltet.

Das Publikum hörte Songs von Paul Simon, Burt Bacharach, Peter Gabriel und Stevie Wonder. Über allem aber schwebte der Geist von Michael Jackson, seine Melodien durchdrangen den Abend, darum gruppierten sich die anderen Komponisten. Folgerichtig heißt die neue CD der Gruppe auch „Songs from Neverland“. Die vier Musiker transportierten die diffizilen harmonischen Figuren fein abgestimmt, kristallisierten spezifische Rhythmusfolgen raffiniert heraus.

Joo Kraus plauderte zwischen den einzelnen Musikfolgen über die Gruppe, ihre seit 15 Jahren vom Pop der 80er geprägte Musik und sang auch selbst. Das war zwar mehr Sprechen auf Tonhöhe, traf aber ausdrucksintensiv den jeweiligen Stückcharakter. Er zeigte sich auch als sprachgewandter Rapper, lediglich bei den ganz langsamen Songs versickerte die Stimme mangels Tragfähigkeit etwas.

Kraus wechselte zwischen dem Strahlklang der Trompete und dem abgedämpften gedeckten Ton des Flügelhorns, mit dem er einen eher intimen Klangcharakter kultivierte. Denn eine der Stärken der Gruppe waren die lyrisch-weichen Songs, die sie mit gefühlvoll-gespannten Adagios in die erwartungsvoll geöffnete Zuhörerohren tanzen ließen, gaben leiseren Songs mit kammermusikalischem Touch bildhafte Gestaltung. Andererseits spielten sie auch einen mitreißenden Beat.

Ihr Klanggefühl war immer kultiviert, hatte die nötige Portion Dezenz. Es war ein Abend künstlerisch-zivilisierter Popmusik mit großer stilistischer Bandbreite, harmonisch, verbindlich und einfach schön.

 

Schwäbische Zeitung, 22. Februar 2011

23.01.2011: Stützles Halbe Stompers

Friede, Freude, Jazz & Weißwurst

Familiäres Dixieland Jazz – Event mit „Stützles Halbe Stompers“ 

BIBERACH – Ohne Zweifel hat sich der Dixieland-Jazz, zumal in einer so gediegenen Form, wie ihn die „Stützles Halbe Stompers“ zelebrieren, neben Volks- und Blasmusik einen festen Platz beim musikalischen Frühschoppen erobert. Die letzten Gäste mussten beim traditionellen Weißwurst-Frühschoppen des Biberacher Jazzclubs regelrecht eingeparkt werden, selbst auf Podesten und Treppenabsätzen war der Platz knapp geworden. Musikfans aus mindestens drei Generationen hatten sich versammelt um die junggebliebenen oberschwäbischen Oldtimer um Trompeter und Bandleader Ekke Wall aus Riedlingen jazzen hören.

 

Louis Armstrong, Fats Waller, Jelly Roll Morton und andere Größen des frühen Jazz waren mit ihren bekanntesten Titeln „Oh when the saints“, „Honeysuckle Rose“, „Kansas City Stomp“ und vielen anderen, allesamt in Arrangements von Ekke Wall vertreten. Besonders der unkonventionellen, schlagzeuglosen Rhythmusgruppe war ein erfreulich transparenter Band-Sound zu verdanken, der vor allem die stimmungsvollen – leider viel zu seltenen – Kollektivimprovisationen der klassischen Frontline aus Klarinette, Trompete und Posaune hervorragend zur Geltung kommen ließ. Die Soli durchzogen alle Stimmen und lagen bei allen Stompers spielerisch und stilistisch auf hohem Niveau. Stiltypisch beklatschte das Publikum dankbar jedes solistische Hervortreten.

 

Verblüffend nahe an das Vorbild Fats Wallers, auch was Leibesumfang und Lebensfreude angeht, vor allem aber in der intensiven, ausdrucksstarken Art zu Singen, kam Ekke Wall, der selbst seine rasantesten Trompetensoli so unaufgeregt und selbstverständlich rüberbrachte, wie seine launige Moderation. Der Funke sprang vernehmlich über zwischen allen Musikern und Publikum, so dass ein friedlich, fröhliches Jazz- und Weißwurstfest auch nicht ohne Zugabe zu Ende gehen durfte.

 

Gez. Dr. H. Schönecker