Archiv – Seite 102 – Jazzclub Biberach e.V.

20.10.2002: Downtown Big Band 

Bigband-Konzert in der WG-Aula

Augsburger Bigband bläst Zuhörer an die Wand

Der eher ungünstige Zeitpunkt des Konzertes, am späten Sonntagabend, konnte die erklärten Bigbandfans unter den Biberachern nicht davon abhalten, das Sonderkonzert mit der renommierten „Down Town Bigband“ aus Augsburg in der Aula des Wieland-Gymnasiums zu besuchen. Und sie bekamen Bigband Power satt geboten. Dreizehn Bläser „unplugged“ sowie eine Rhythmusgruppe aus E-Gitarre, E-Bass, Klavier und Schlagzeug, in einigen Nummern bereichert um die stilistisch souveräne Jazzsängerin Sabrina Scharm unter der Leitung des Trompeters Robert Alonso heizten in der Aula so richtig ein und fetzten ihren Zuhörern beinahe die Ohren weg. Der Biberacher Jazzclub und der „Verein der Freunde und Ehemaligen des Wieland-Gymnasiums“ hatte den Auftritt der Augsburger Formation ermöglicht, die damit ihrerseits den fulminanten Schlusspunkt ihrer diesjährigen Probetage in Rot/Rot setzte.

Einer der wichtigsten Solisten des Abends, laut der launigen Ansage ein „Kind der Stadt Biberach“, ehemaliger WG-Schüler und langjähriger Saxophonist der WG Bigband, war Rüdiger Przybilla, der etwa in „Georgia on my mind“ auf seinem Altsaxophon expressiv parlierte. Mit seinem rhetorisch überformten Improvisationsstil gab er dem smarten Sammy Nestico-Arrangement Tiefe und Intensität, was vom Fan-Publikum durch lang anhaltenden Szenenapplaus belohnt wurde. Noch besser waren nur die Dialogimprovisationen in Johnny Burkes „Polka Dots and Moonbeams“, in denen er sich mit seinem Saxophonkollegen ein packendes Duell lieferte und damit gleich zwei Zugaben einforderte.

Für eine Profiband natürlich selbstverständlich, in der Livedarbietung dennoch immer wieder beeindruckend, kamen die komplementär verzahnten, knackigen Bläserriffs der bajuwarisch dynamischen Blechabteilung und das samtig-weiche, bei Bedarf aber auch in höchster Brillanz jubelnde Saxophon-Register herüber. Kaum zu glauben, dass hier nach drei anstrengenden Probetagen noch höchste Präzision und Disziplin herrschte, dass auch ohne Dirigent souveränes Zusammenspiel und flexibles Aufeinandereingehen selbstverständlich waren. Nur eines war offenbar mit dem bis an die Grenzen belasteten Ansatz der Bläser nicht mehr zu leisten: filigrane, differenzierte Pianostellen. Vor allem die charmante Vokalsolistin Sabrina Scharm sowie der Mann am Klavier, waren für die leisen, empfindsamen Töne allein  zuständig. Sensibel und ausdrucksstark gehörten beide zu den musikalischen Aktivposten.

Gez. Dr. Helmut Schönecker

11.10.2002: Manfred Junker Quartett

Konzertbericht „Manfred Junker Quartett“, 11.Oktober 2002, Jazzkeller Biberach

Deutsch-schweizerisches Jazz-Quartett in bester Spiellaune

Junker ist Junker ist Junker

Das Konzert im Jazzkeller der Bruno-Frey-Musikschule vergangenen Freitag war kurzweilig, unterhaltsam, abwechslungsreich. Das Publikum wirkte nicht gerade frenetisch begeistert aber doch sichtlich zufrieden, entspannt, happy und – es hätte etwas zahlreicher sein dürfen. Denn das Quartett um Manfred Junker war hochkarätig, gut disponiert, gut aufeinander eingespielt, routiniert und professionell. Und es verkörperte geradezu ein hochinteressantes Konzept, in dem das gesamte Repertoire des Konzertabends ausschließlich auf spezielle Arrangements von Kompositionen Cole Porters sowie Originalkompositionen des Bandleaders Manfred Junker beschränkt war. Genau darin lag auch das System begründet: In der Beschränkung erweist sich der wahre Meister.

Junker ist erklärter Cole-Porter-Fan, und er hat dem populären Schöpfer von „Kiss me Kate“  oder „Night and Day“, der zu den produktivsten Lieferanten von Jazz-Standards überhaupt zählt, vor allem in melodischer Hinsicht auch manches abgeschaut: weitgespannte Melodielinien, mit Chromatik durchsetzte Themen, zahlreiche Triolen und Synkopen etwa. Doch zuerst und vor allem ist der Konstanzer Gitarrist Manfred Junker er selbst. Auch wenn er Porter spielt ist er ganz Junker, seine eigene Handschrift ist immer deutlich erkennbar. Seine Eigenkompositionen haben eine einprägsame Melodik und emotionalen Tiefgang gleichermaßen, und sie haben in dem jungen Schweizer Saxophonisten Reto Suhner einen höchstkompetenten Sachwalter, der ihnen mit heißem Atem Leben einhaucht.  Suhner und Junker fanden sich, neben ihren solistischen Höhenflügen auch immer wieder zu erfrischenden, kreativen Dialog-Improvisationen voller Humor und Hingabe.

Inspirierte Balladen in schlichter und ergreifender Schönheit, ohne falsches Sentiment mit raumgreifenden Improvisationen durchsetzt sowie die in Latin-Rhythmen oder kernigen Rock-Grooves  mitreißenden Nummern wurden gleichermaßen souverän getragen von einer uneigennützigen Basis aus dem in der Szene bestens eingeführten German Kleiber am Kontrabass und dem hochbegabten BUJAZZO-Mitglied Martin Deufel am Schlagzeug. Besonders herausragend im Programm waren Porters relaxed swingendes„After you“ und fast noch überzeugender Junkers Eigenkomposition “Quietude”, eine Ballade, welche die Zuhörer in die tiefsten Traumwelten abtauchen ließ um sie geläutert wieder daraus zurück zu holen.

Junker „taugt nicht auf den Marktplatz“, um mit Hölderlin zu sprechen. Er liefert keine billigen Effekthaschereien, keine aufgesetzten Attitüden, er überzeugt durch natürliche Sympathie und erfrischende Offenheit, durch echte und tief empfundene Musikalität in einem integeren Gesamtkonzept. Eine Musikalität die sich durch seine Person „hindurchgearbeitet“ hat, die gerade dadurch aber auch ausgereift, mitunter sogar abgeklärt wirkt. Von diesem Junker bitte mehr!

07.06.2002: Michael Nessmann Quintett 

Michael Nessmann Quintett im Jazzkeller

Versunkene Schätze an verborgenen Orten

Oberflächlich gehört waren es vielleicht nur die introvertierten Fusion-Klänge einiger urbaner Individualisten. Wer aber beim jüngsten Konzert des Biberacher Jazzclubs am Freitagabend zum Ende einer arbeitsreichen Woche noch die Konzentration  zum aufmerksamen Zuhören aufbringen konnte, wurde reichlich dafür entlohnt. Unter der nervigen, rhythmisch groovenden Oberfläche einer kraftvollen Musik kamen faszinierende  musikalische Welten zum Vorschein.

Das Stuttgarter Michael Nessmann Quintett, überwiegend mit Eigenkompositionen des gitarrespielenden Bandleaders munitioniert, verschmolz in überzeugender  Weise die verschiedenen Stilrichtungen des ausgehenden 20. Jahrhunderts zu einem Konglomerat  eindringlicher Töne und Harmonien in deren Tiefen zahllose meist autonom-musikalische Ideen versteckt waren, gleich geheimnisvollen versunkenen Schätzen an verborgenen Orten – so der phantasievolle Titel einer der eher ruhig-sphärischen Titel des Abends.

Immer selbstlos im Hintergrund, selbst in den kurzweiligen, tadellosen Improvisationen eher schüchtern und verhalten, introvertiert aber dennoch ausdrucksvoll und ausdrucksstark agierte die Jazz Lady Maike Mohr an Keyboard und Flügel. Ein Genuss, der Genese ihrer sensiblen Improvisationen am Flügel zu lauschen. Die elektronischen Keyboard-Sounds klangen jedoch meist etwas dünn und harmlos. Weit dominanter und klangmächtiger, unterstützt durch ein üppig dimensioniertes Multieffektgerät, keinesfalls aber unsympathisch und penetrant erwies sich der Bandleader lediglich in seinen Ansagen als etwas unbeholfen. Seine Improvisationen gefielen, noch mehr jedoch die brillanten Unisonolinien, die er meist mit dem Saxophonisten Harald Schneider simultan zelebrierte und eben nicht, wie in der Szene oft gehört, nur „herunternudelte“.  Schneider gehörte mit seinen seelenvollen Saxophontönen zweifelsfrei zu den melodischen Aktivposten der Formation, sein rhythmisches Pendant Jörg Biefledt am Schlagzeug zeichnete für den subkutanen Groove verantwortlich. Sein satter Schlagzeugsound wurde nur noch übertroffen durch einen unglaublich sinnlichen, schmatzend-schlammigen E-Bass-Sound von Henrick Mumms 5-Saiter, der nicht nur für einen präzisen packenden Unterbau sondern eben auch für die vielzitierten „good vibrations“ sorgte. Was Wunder, dass nach dem fetzigen Schlusstitel, der seinerseits eines der Highlights des Abends war, vom begeisterten Publikum eine Zugabe eingefordert wurde.

Gez. Dr. Helmut Schönecker