Archiv – Seite 100 – Jazzclub Biberach e.V.

31.10.2003: Böhm Huber Daneck Trio feat. Ingrid Jensen 

Ausnahmekonzert im vollbesetzten Biberacher Jazzkeller

Traum-Jazz aus höheren Gefilden

Drei herausragende Musiker, zwei veritable Komponisten und die sanfte trompete- und flügelhornspielende Powerfrau Ingrid Jensen im Zentrum des Universums. Dies war der vorherrschende Eindruck beim gut besuchten Sonderkonzert des Jazzclubs Biberach am vergangenen Freitag im Jazzkeller.

Mit einer dezenten aber gleichwohl souveränen Bühnenpräsenz ohne aufgesetzte Manierismen machte der gefeaturete kanadische Trompeten-Star vom ersten Stück an deutlich wer hier das Sagen hat. Mal wurde der im übrigen tadellos agierende Schlagzeuger, Komponist und Moderator Matthias Daneck für einen fehlenden Hinweis auf eine ihrer Kompositionen auf offener Bühne gerügt, mal holte Ingrid Jensen, die unumstrittene Chefin auf dem Podium, ihre Jungs – vor allem den genialen Piano-Virtuosen Rainer Böhm, an dessen brillantem Spiel man sich nicht satt hören konnte – mit scharfen Zurufen aus den Untiefen selbstvergessener Improvisationen vom anderen Stern zurück oder fuhr mit weichen aber bestimmten Flügelhornklängen dem preisgekrönten jungen Bassisten Arne Huber in die Parade. Mit selbstkritischen Gesten gab die in New York lebende Trompeterin aber auch unumwunden ihre wenigen eigenen Nachlässigkeiten kund. Dem musikalischen Gesamteindruck tat dies gleichwohl keinen Abbruch. Die zahlreichen Besucher durften ein kurzweiliges, in jeder Hinsicht gelungenes Jazzkonzert auf hohem Niveau erleben.

Die höchst abwechslungsreiche Musik gab sich stilistisch als eine Unterströmung im modernen bebopdominierten Mainstream, durchsetzt mit rasanten Skalen, gewagten Harmonien und packenden Rhythmen. Gleichwohl machte die Individualität und Gestaltungskraft der Musiker daraus etwas Besonderes. So verlor etwa Ingrid Jensen auch in den schwierigsten Passagen trotz höchst ausdrucksvoller Spielweise äußerlich nie ihre Coolness und eine gewisse innere Distanziertheit ließ sie auch in turbulenten Szenen immer den Überblick behalten. Und turbulent ging es mitunter schon zu, wenn die in ihren Bereichen mehrfach preisgekrönten Musiker so richtig aufdrehten und eine überbordende Fülle musikalischer Einfälle in Echtzeit verarbeiteten. Heraus kam eine hochkomplexe musikalische Struktur, die bei aller Dichte doch auch gefällig und gut durchhörbar blieb, die jedoch auch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit einforderte.

„Higher Grounds“, so eine der Eigenkompositionen von Ingrid Jensen, spiegeln exemplarisch wieder, wo sich diese Musik abspielte, in höheren musikalischen Gefilden. Da wo brillante Technik und höchste Virtuosität nicht zum Selbstzweck da sind, wo die vollständige Beherrschung des Instrumentes die selbstverständlichste Grundvoraussetzung für intensive Kommunikation und Interaktion bildet und der Zuhörer nicht bloß verblüfft oder unterhalten wird, dort wo sich Musiker nicht hinter ihrer Professionalität verstecken und wo billige Effekte tief empfundenen Affekten weichen, in diesen höheren Sphären bekommen Worte wie Qualität und Niveau wieder ihren tieferen Sinn: Traumhafter Live-Jazz.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

18.10.2003: Andor’s Jazzband 

Andor’s Jazzband in der Theaterkneipe „Applaus“

Gepflegt, Gediegen, Gelungen!

Der Biberacher Jazzclub hatte mit seiner jüngsten Bandverpflichtung den musikalischen Weg zurück zu den Anfängen gewählt. Traditional Jazz von seiner gepflegtesten Seite, dargeboten von der niederländischen Formation „Andor’s Jazzband“ in der Theaterkneipe „Applaus“ versetzte das Publikum zurück in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Neun würdevolle ältere Herren mit Fliege, schwarzem Anzug und Lackschuhen machten sich, nicht ohne einen Schuss Selbstironie, auf der kleinen Bühne pünktlich ans Werk. Mit souveräner Professionalität und wenigstens in den ersten beiden Sets auch mit gedrosselter Leistung gingen die Musiker ihren Job an. Informative Moderationen durch den ansonsten unauffällig am Piano agierenden Bandleader unterbrachen den unterhaltsamen Fluss der gediegenen Salon-Musik. Die gewählten Titel legten Zeugnis ab von dem Bemühen der Holländer, die ausgetretenen Pfade der Wiederholung des immer Gleichen zu verlassen und eben gerade nicht den Tiger Rag, Ice Cream oder den Basin Street Blues als profane Stimmungsmacher einzusetzen.

In subtilen Arrangements eher unbekannter Stücke, eine gewisse Vorliebe für den jungen Duke Ellington war nicht zu überhören, kam der historische Wechsel von der, nur mit drei Melodieinstrumenten besetzten New Orleans Combo zu den Bigbands der 30er Jahre exemplarisch zum Ausdruck. Den fünf Multi-Instrumentalisten der Frontline: Klarinetten, Saxophonen, Trompeten und Posaune, gelang es in immer wieder neuen Konstellationen das saubere Satzspiel der Bigband-Ära mit den improvisatorischen Freiheiten der Frühzeit zu verbinden. Dabei spielten der Tenor- und Es-Altsaxophonist jeweils auch Klarinette, das zweite Altsaxophon ertönte im Wechsel mit Klarinette oder gar Trompete (!), Trompete und Posaune ergänzten den variablen Bläsersatz, der mitunter gar geschlossen auf Sopranino-Blockflöten wechselte. Klanglich wohl am eindrucksvollsten trat der dreistimmige Klarinettensatz in Erscheinung. In sauberer Intonation traten vor allem in mittlerer und hoher Lage, für den originären Jazz nicht unbedingt typische,  dabei jedoch harmonisch besonders wohlklingende Partien in Erscheinung, die dem Ganzen einen sehr edlen Charakter verliehen.

Im dritten Set drehten die Herren dann richtig auf. Mit dem legendären „Sing, Sing, Sing“ von Benny Goodman trat der polnische Schlagzeuger der Band in die Fußstapfen von Gene Krupa. Sein 10minütiges Schlagzeugsolo lockte das Publikum aus der Reserve und animierte das Publikum zu stürmischem Applaus. Kurzweilig verging der Rest des Abends bis kurz vor zwölf, nicht ohne eine herbeigeklatschte Zugabe, der unterhaltsame Jazzabend zu Ende ging.

19.09.2003: NuNu! 

Launiges Konzert zwischen Klezmer und Weltmusik

NUNU! – Skurrile transsilvanische Waldgeister im Biberacher Unterholz

NUNU erneut im Biberacher Jazzkeller! Wer den vielumjubelten ersten Biberacher Auftritt der Münchner Klezmertruppe vor einigen Jahren miterlebt hat, der wusste noch, was das bedeutet: heftig strapazierte Lachmuskeln bei verblüffenden Nonsens-Dialogen mit leeren Sprachhülsen, überschäumende Affekte pur in freier stilistischer Anlehnung an den amerikanischen Scatgesang, überzeugende und beeindruckende Mimik und Gestik, kurzweilige komödiantische Unterhaltung mit einer brillanten Performance, musikalische Genrestücke in jiddischer, balkanischer, südosteuropäischer Tradition, skurrile musikalische Parodien und Karikaturen zuhauf, eine musikalische Melange irgendwo zwischen Klezmer und Weltmusik.

Die Erwartungen wurden denn auch nicht enttäuscht. Das jeweilige Idiom der dargestellten Genres wurde treffsicher erfasst. Viele Stücke hatten in alter Klezmertradition eine intensive melancholische Ausstrahlung und intimen Charakter. In besonders inspirierten Nummern, etwa in dem skurrilen „Lied von den transsilvanischen Waldgeistern“, stimmte alles zusammen. Da zirpte, röchelte, stöhnte und ächzte alles was auf der Bühne stand. Scharrende, schabende, pochende Geräusche von Marika Falk an diversen Trommeln, undefinierbare elektronische Spezialeffekte des Überlinger Gitarristen Uli Graner und die unnachahmlichen akustischen Emanationen des virtuosen Passauer Posaunisten, Tubisten und Stimmakrobaten Leo Gmelch erzeugten eine Gruselstimmung, die jeder Geisterbahn Ehre gemacht hätte. Leadsänger Willi Jakob lieferte den beseelenden Gesangspart und stand Leo Gmelch als Dialogpartner zur Verfügung.

Den Jazzfans unter den zahlreichen Besuchern wurde jedoch leider – trotz einem in Chicago geborenen Saxophonisten und Klarinettisten, der als Ersatz für den langjährigen Violinisten Mic Oechsner antrat – keine ernstzunehmende Jazz-Improvisationen geboten, wie überhaupt die Jazzeinflüsse erstaunlich nebensächlich wirkten. Gegenüber der außergewöhnlich vitalen und expressiven Musik der Anfangsjahre, die ein außerordentlich hohes innovatives Potential aufwies und große Experimentierfreude bezeugte, gab es heuer leider wenig Neues, kaum Tiefschürfendes. Der unzweifelhaft hohe Unterhaltungswert von NUNU ließ sich offenbar mit einem gewissen Kunstanspruch über die Jahre hinweg nicht immer leicht versöhnen. Dieser Versuch in Permanenz öffnet jedoch die Pforten zu wahrhaft bedeutender Musik.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker