Stefanie Boltz Duo stimmt auf den Winter ein
„Midwinter Tales“ wärmen Jazzfans auch ohne Kamin
BIBERACH – Zusammengeschweißt auf einer Bergwanderung zur Alpspitze und während einiger schweißtreibender aber inspirierender Studiotage mit Sven Faller bei GLM Music, fand das Duo aus Stefanie Boltz und Martin Kursawe auch in der auf das Wesentliche reduzierten Besetzung genau den richtigen Ton und emotionalen Zugang zu ihrem aufmerksamen Publikum im Jazzkeller. Während draußen die ersten Flocken fielen und auf die kälteren Aspekte des Winters einstimmten, gelang es den beiden, unterstützt durch das Team vom Jazzclub, mühelos eine heimelige Stimmung zu erzeugen. Gedämpfte Beleuchtung, Kerzenschein, kuschelige Wärme und dazu eine herzerwärmende Musik ohne unnötiges Drumherum boten die richtige Einstimmung auf die kommende Adventszeit. Selbst audiophile Weihnachtsgeschenke mit Autogramm gab es an der Kasse zu erwerben, lediglich der Glühwein fehlte.
Nach dem Ausfall des Kontrabassisten war das Trio um die Münchner Sängerin zum Duo geschrumpft. Der Professionalität der Akteure war es jedoch zu verdanken, dass dabei nicht auch die künstlerische Intensität und die Ausdrucksmöglichkeiten litten. Ganz im Gegenteil. Gerade weil das grundierende Bass-Fundament fehlte, rückte die Interaktion zwischen Gitarre und Stimme in den Vordergrund. Auf höchstem Niveau und hochkonzentriert entfaltete sich eine ganz eigene Klangwelt, die atmosphärische Dichte und klangliche Transparenz überzeugend zu verbinden wusste. Selten konnte man so bekannte Ohrwürmer wie „White Christmas“ oder „The Sound Of Silence“ in so entschlackter Form und auf das Wesentliche verdichtet hören. Nur die allernotwendigsten Pinselstriche skizzierten das Original, welches als Reminiszenz fast nur in der Vorstellung der Zuhörer, gewissermaßen im Hintergrund mitlief. Nichts könnte weiter entfernt sein von den verkitschten klanglichen Weihnachtskulissen, die zurzeit jeden Einkauf umwabern, als die sorgsam gesetzten und vor allem sorgfältig vermiedenen Töne der Vorlage. So muss anspruchsvolle Unterhaltung sich anhören. Und erst im aktiven Nachvollzug des improvisatorischen Geschehens gibt sich wahre Kunst und guter Jazz zu erkennen. Was dem Bildbetrachter die Kontemplation, ist dem Zuhörer die Konzentration.
Noch etwas höhere Ansprüche an die Zuhörer stellten die Eigenkompositionen. „Midwinter“ von Martin Kursawe oder „Im Schnee verbrennen“ von Stefanie Boltz forderten die eigene Fantasie heraus. Gelegentlich verhalfen die Erläuterungen von Boltz zu einem tieferen Verständnis. Etwa im Stück „Narkose“, dessen Titel allein nicht unbedingt auf den Inhalt schließen ließ. Der kurze Hinweis auf den langen Winterschlaf einiger Säugetiere, die sich tiefenentspannt um den Winter herumdrücken, erwies sich jedoch als durchaus hilfreich. Auch wenn manche Zeitgenossen „die Augen vor etwas verschließen“ oder das Unangenehme gleich ganz verdrängen, hört es dadurch nicht einfach auf zu existieren. Und auch wenn Musik gelegentlich zur Realitätsflucht einlädt, kann sie nach dem Wiedereintritt in die Realität, nach dem Erwachen aus dem Winterschlaf, als eine Art „Reset“ funktionieren und zu einem unbelasteten Neustart führen.
Ein eingeschobener Gedichtvortrag „Die Luft riecht schon nach Schnee“ von Luise Kirsch und ein rezitierter Text aus dem Buch „Stille: Ein Wegweiser“ von Erling Kagge macht deutlich, mit welcher Intention und Intensität sich Stefanie Boltz künstlerisch mit ihrer Umwelt und ihren Mitmenschen auseinandersetzt. Stille ist nicht nur Grundlage der Musik, sondern die Ermutigung, sich Inseln im rasenden Stillstand des Alltags zu schaffen. So sollte vielleicht auch ihr Hinweis an Jazzclub und Publikum verstanden werden, mit dem ambitionierten Livemusikprogramm und dem zahlreichen Besuch desselben weiterzumachen.
Die Aufnahme von Tom Waits „Christmas Card From A Hooker In Minneapolis“ (ein Titel aus dessen rauer Zeit, in der er sich das Image eines „melancholischen Trunkenbolds“ gab) in das Programm zeigt, ebenso wie Duke Ellingtons „I Ain’t Got Nothing But The Blues“, dass Boltz bei aller intellektuellen Tiefe die Bodenständigkeit, die authentische Erdschwere des Blues und das wirkliche Leben nicht aus dem Auge verloren hat. Zwei Zugaben, der blueslastige Titel „Meine weißen Tasten“ aus ihrer eigenen Feder und ein „Christmas Song“ rundeten das Programm ab und nahmen dem Winter seinen Schrecken.
Text und Fotos: Helmut Schönecker





