Hauptstadt-Jazz mit „Berlin 21“ im Biberacher Jazzkeller
Kosmischer Spaß-Jazz der Superlative
BIBERACH – Keine halben Sachen machte Torsten Zwingenberger mit seinem hochkarätig besetzten Quartett „Berlin 21“ in einem der erlesensten Jazzclubkonzerte der letzten Jahre im übervollen Jazzkeller. In seinen Begrüßungsworten gab Zwingenberger seiner Freude und – wohl angesichts der gewohnten Berliner Verhältnisse – auch Überraschung über die stimmungsvolle Kulisse einer so prallvollen Veranstaltungsstätte Ausdruck. Seine Musik sprühte von Beginn an Funken, diese sprangen sofort auf die Konzertbesucher über und die Begeisterung auf beiden Seiten führte schließlich zu einem über dreistündigem Konzert der Extraklasse. Das Team vom Jazzclub durfte zu Recht frohlocken, die langjährigen Bemühungen um einen Konzerttermin mit dem Ausnahmeschlagzeuger haben sich gelohnt.
Bandleader Torsten Zwingenberger hat in der letzten Dekade vor allem sein virtuoses und hochkomplexes Schlagzeugspiel vervollkommnet und dabei besonders unter Einsatz eines immer umfangreicheren Equipments unter Einbeziehung zahlreicher Perkussionsinstrumente und spezieller Pedal- und Schlagtechniken (Drumming 5.1 mit beidhändigem „Open-Hand“-Spiel und daraus resultierenden Twin- oder Doppelschlageffekten bis hin zum einhändigen Trommelwirbel) eine klangliche und strukturelle Vielschichtigkeit entwickelt, die ganz ohne elektronische Hilfsmittel ein mehrköpfiges Schlagzeugensemble ersetzt. Dies ermöglicht ihm eine außerordentliche Dichte und Präzision im Spiel, die von kaum einem anderen Schlagzeuger erreicht wird. Seine Soli, keineswegs im Übermaß oder als bloße Effekthascherei eingesetzt, lassen einen den Atem anhalten. Sein Einfallsreichtum scheint grenzenlos, seine künstlerische Ausstrahlung fasziniert und fesselt, sein pittoreskes Schlagzeugsolo über die „Fahrt einer Dampfeisenbahn von Berlin Friedrichstraße zum Bahnhof Zoo“ treibt die Begeisterung auf einen finalen Höhepunkt, hinterlässt nachhaltigen Eindruck, setzt neue Standards im Schlagzeugspiel.
Wer jetzt denkt, daneben müssten die weiteren Mitspieler blass und unscheinbar erscheinen, hat sich gehörig getäuscht. Der weitgereiste komponierende Pianist und Weltbürger Lionel Haas brannte in enormer stilistischer Bandbreite ein wahres Tastenfeuerwerk ab, zauberte unfassbare Improvisationen über einer rasanten Boogie-Woogie-Begleitung der linken Hand und das auch noch im 5/4-Takt, groovte in vollgriffigen karibischen Pianolicks, im „Straight-Ahead-Jazz“ oder Modern Swing der Post-Bop-Ära ohne jegliche Berührungsängste. Nichts für Puristen aber Hauptsache es macht Spaß.
Der auch für weitere Bandkompositionen zuständige Kontrabass- bzw. Bassello-Spieler Martin Lillich zeigte als ehemaliger Meisterschüler des bei den Berliner Philharmonikern spielenden Klaus Stoll und Schlagzeugdozent an der Berliner Musikhochschule eine breite Palette spielerischen Könnens, gezupft, geschlagen und gestrichen. Herausragend und neben anderen Stücken der aktuellen CD von „Berlin 21“, „CAPITAL LETTERS“, eigens geschrieben für die spezifischen Möglichkeiten dieser Bandbesetzung war dabei sein quirliger Titel „Clues“, eine Fusion kubanischer Rhythmen über Bluesharmonien. Hierbei lief der ebenfalls komponierende junge Kanadier Benson Mc Glashan mehr noch als in seinen weiteren Gitarrenimprovisationen oder kapriziösen Eigenkompositionen zur Hochform auf. Mit der Eloquenz eines Joe Pass oder der Geschmeidigkeit eines Wes Montgomery riss der ebenfalls in Moabit lebende Wahlberliner (die alte Postleitzahl 1021 findet sich übrigens im Bandnamen) die letzten Mauern ein. Die überschäumende Spielfreude des Quartetts korrespondierte mit den anspornenden Beifallsstürmen eines hell begeisterten Publikums, am Ende applaudierten dann gar die Musiker – dem Publikum. Ein „Berlin 21“ der rundum erfreulichen Art. Nachschlag bitte!
gez. Dr. H. Schönecker