Vom Treffen in der Hölle und dem doppelten Urknall
Jazzplosionen im gemischten Doppel mit Stimme und Bass
BIBERACH – In der ausverkauften Gigelberghalle zelebrierte der Jazzclub Biberach den zweiten Teil seines Saisonauftaktes im Rahmen des vom Land geförderten „Kultursommers 2020“ unter strengen Hygieneauflagen. Gleichwohl brandeten Wellen der Begeisterung durch die lichten Reihen. Die Freude und Überraschung auch auf Seiten der Musiker war hör- und spürbar, die anfängliche Skepsis schnell verflogen. Bravorufe, anfeuernde Pfiffe, rauschender Applaus, zahlreiche Zugaben und Worte der Hoffnung auch von Seiten des Veranstalters waren mehr als nur der Silberstreif am Horizont. Die allgemeine Erkenntnis: Wir machen weiter, egal wie. Ohne Kultur wären wir schließlich Barbaren.
Mit launigen Worten von Moderator Jojo Riedel eingeleitet, startete das gemischte Doppelkonzert mit dem schwäbischen Stimme-Bass-Duo „Siyou’n’Hell“. Die in Kamerun geborene Sängerin Siyou und die Ulmer Basslegende Hellmut Hattler leben in einer engen zwischenmenschlichen Beziehung, zu spüren, zu sehen und zu hören auch auf der Bühne (Closer Me). Dieses innige Verhältnis war wohl auch das Amalgam einer ungewöhnlichen Fusion zwischen Gospel, afrikanischen Wurzeln, Pop, Soul, Rock und Jazz. Eingeleitet mit einer stimmungs- und eindrucksvollen Version von „Sometimes I feel like a motherless child“ folgten überwiegend Eigenkompositionen. Obwohl Hattler nach eigenem Bekunden selten einmal Coverversionen spielt, musste er nach einer mitreißenden und sehr weitgehenden Bearbeitung des Beatles-Songs „Come Together“ gestehen, dass er in dieser Konstellation die Begeisterung des Publikums und seiner temperamentvollen Duo-Partnerin uneingeschränkt teilt. Trotz der räumlichen Abstände heizten die beiden Energiebündel die Stimmung gehörig an. Der satte, druckvolle Bass, knackige Funky-Slaps und Grooves, ergänzt um Shaker oder Kalimba durch die Gospelqueen Siyou, die mit ihrer kraftvollen Stimme das Rock-Jazz-Fusion-Idiom vom E-Bass genretypisch verkörperte, fanden zu einer originellen Einheit mit intensiver positiver Ausstrahlung, die Lust auf mehr machte.
Nach einer ausgiebigen Lüftungspause war das Publikum wieder aufnahmefähig für das, obwohl in gleicher Besetzung aus Stimme und Bass angetretene, völlig kontrastierende Bandkonzept des Münchner Duos „Le Bang Bang“. Trotz zunächst überzogener Lautstärke und gelegentlichen Übersteuerungen wirkte deren Musik filigraner, differenzierter und von größerem Ausdrucks- und Dynamikumfang als die erste Formation. Das „Bang“ des Urknalls stand hier vor allem für die Pulverisierung der gewählten Vorlagen. Aus dem verbleibenden Feinstaub entstand, ganz im Sinne des ursprünglichen Jazz, das Neue, das Ureigene und Besondere. Beinahe noch überzeugender und interessanter erschienen jedoch die Eigenkompositionen von Sven Faller und Stefanie Boltz. Herausragend in ihrer Eindringlichkeit etwa die Komposition „Istanbul“ des Kontrabassisten, entstanden anlässlich eines Konzertes in der quirligen türkischen Millionenstadt. Berührungsängste mit großen Rocktiteln von ACDC oder Radiohead, der schillernden Cindy Lauper oder dem Garagen-Grunge von Nirvana gab es keine. Der dritte Musiker der Formation allerdings lag Sven Faller zu Füßen: Eine umfangreiche Sammlung von, in der Gitarristen-Branche „Tretminen“ genannten Fußschaltern und Effektgeräten, Samplern und Sequenzern als elektronische Helferlein. Natürlich durften auch die Münchner nicht ohne Zugabe von der Bühne. Ein kurzes Interview des Moderators Jojo Riedel mit den Veranstaltern ermöglichte einen Blick auf die aufwändigen Vorbereitungen für Veranstaltungen in Coronazeiten aber auch einen vorsichtigen Ausblick auf künftige Planungen des rührigen Clubs.
Text und Fotos: H. Schönecker