24.01.2014: Mattias Lindermayr Quartett – Jazzclub Biberach e.V.

24.01.2014: Mattias Lindermayr Quartett

Modern Jazz als lustvoll groovende urbane Gegenwartskultur

BIBERACH – Mit dem Matthias Lindermayr Quartett lockte bereits der zweite Wettbewerbsgewinner im noch jungen Biberacher Jazzjahr die Freunde anspruchsvoller, avantgardistischer Jazzmusik in den Jazzkeller. Experimentierfreudig, innovativ und ohne Berührungsängste zu aktuellen Musikströmungen zeigte die Siegerformation des internationalen Biberacher Jazzpreises 2012 neue Wege des Jazz auf und machte damit ihre Zuhörer glücklich und zufrieden.

Titel wie „Ellipse“, „Hymn“ oder (als dritte Zugabe) gar ein „Protestsong“ verraten bereits die große Bandbreite der musikalischen Einfälle, nichts und niemand scheint vor den gestalterischen Zugriffen des Quartetts verschont zu bleiben. In dieser ästhetischen Offenheit verbirgt sich gleichwohl keine stilistische Beliebigkeit oder Unentschlossenheit. Lindermayrs Musik ist immer komplex, meist polyphon mit einer hohen Eigenständigkeit aller Stimmen, mit gemäßigt moderner Harmonik innerhalb freierer Strukturen vor allem aber mit charaktervollen, einprägsamen Melodien. Bei aller kompositorischen Dichte wirkte nichts daran konstruiert. Im Gegenteil. Die Stücke wirken wie aus einem Guss und sind schon aufgrund der Klanglichkeit ihrer Besetzung kraftvoll und direkt. Der satt schmatzende, druckvolle E-Bass von Ludwig Klöckner könnte sich auch in der Rock- und Fusionszene hören lassen. Nicht minder zupackend versprühte der Drummer Fabian Rösch auf seinem reisetauglichen Minidrumset aus nur drei Trommeln, einem Becken und einer Hi-Hat die pure Spielfreude. Die klangliche Vielfalt und Differenziertheit, die er mittels verschiedener Schlägel, Spieltechniken und klangverändernden Accessoires erzielte, hinderte ihn in keinster Weise daran, unter konsequenter Vermeidung von Standardpatterns einen niemals abreißenden, stimulierenden Groove mit großem Abwechslungsreichtum und hohem Unterhaltungswert zu generieren. In der Beschränkung zeigte sich hier die wahre Größe.

An Gitarre und computergesteuertem Sound- und Effektsystem wirkte Leonhard Kuhn. Er verpasste Lindermayrs Kompositionen ein opulentes Soundgewand, verlieh den weitgespannten Trompeten-melodien in tiefengestaffelten Echoebenen räumliche Plastizität und der Musik vom MLQ orchestrale Dichte, ließ mitunter aber auch harmonische Begleitstrukturen im Klangbrei ertrinken. Abgemildert wurde dies glücklicherweise dadurch, dass er sich persönlich niemals in den Vordergrund drängte und dem dominierenden Trompetenklang zu keinem Zeitpunkt die Führungsrolle streitig machte. Hier wäre etwas mehr klangliche Transparenz den mitunter dialogisierenden, oft aber auch ostinaten Strukturen im sphärischen Wohlklang vieler Stücke, vor allem im ersten Programmteil, durchaus zugutegekommen.

Der klangverliebte ruhige Beginn des Konzertes war bestens geeignet zum Herunterfahren aller Systeme am Ende einer arbeitsreichen Woche. Nach dem eher betulichen Abholen des Publikums ging jedoch noch vor Ende des ersten Sets regelrecht die Post ab. Die Stücke wurden wilder, leidenschaftlicher, schneller und das Quartett fand dorthin, wo seine eigentlichen Stärken liegen: im lust- und kraftvoll groovenden, nach allen Seiten offenen Modern Jazz einer frischen, lebensbejahenden urbanen Gegenwartskultur.