17.09.2010: Tango Transit – Jazzclub Biberach e.V.

17.09.2010: Tango Transit

Jazzkonzert mit Tango Transit

Tango Power aus Hessen

Auch wenn es in der Fußball-Bundesliga für die Frankfurter derzeit nicht so gut läuft, die drei erfolgreichen Frankfurter Tangospezialisten von „Tango Transit“ haben beim letzten Jazzclubkonzert, trotz langem Staunachmittag auf der A8, eine Dynamik und künstlerische Präsenz an den Tag gelegt, die nur aus einer völligen Besessenheit heraus, aus bedingungsloser Liebe zum Tango, zum Jazz, zur Musik überhaupt erklärbar scheint. Nur aus dieser Hundertprozent-Einstellung resultieren echte Siege. Gäbe es eine Tango-Bundesliga, die drei von „Tango Transit“ wären ganz vorne dabei.

Der Akkordeonist und Komponist aller Titel des kurzweiligen Konzertabends, Martin Wagner, musikalischer Dreh- und Angelpunkt in stupender Virtuosität zelebrierter Tangomania, hat hier offenbar den Nerv der Zeit und des begeisterten Biberacher Publikums getroffen. Mit geschlossenen Augen verklärt lauschend schien die Seele von Astor Piazzolla durch den gut besetzten Jazzkeller zu schweben. Dessen Emotionalität und Temperament gepaart mit Wagners brillanter Griff- und Balgtechnik auf seinem modernen Victoria-Akkordeon aus der traditionsreichen italienischen Instrumentenbaufirma, ermöglichte Unerhörtes.  „Bellow shakes“ vom zarten Vibrato bis zum aufgeregten Tremolo, rasante Passagen höchster chromatischer Dichte (á la „Hummelflug“) oder weitgespannte Arpeggien über den gesamten Tonumfang führten jedoch keineswegs zur Vernachlässigung einfühlsamer, sorgfältig modellierter, oft auch tangogemäß melancholischer Melodien. Die Inspiration für die Kompositionen, durchaus nicht nur Tangos, kam aus allen Lebenslagen. Formal-Rational wie in der „Suite – Part I-III“ oder außermusikalisch angestoßen wie in „Fat Cat“ oder bei den Frankfurter „Ostpark Elefanten“ blieben auch das augenzwinkernde, spielerische Element („Waltz for Angie“) und weitere nette Verrücktheiten („chromasomatic lunatic“) nicht auf der Strecke.

Bei aller strukturellen Dominanz des Bandleaders hätte ohne die beiden begnadeten Mitstreiter an Kontrabass (Hanns Höhn) und Schlagzeug (Andreas Neubauer) Entscheidendes gefehlt. Differenziert und kraftvoll groovend, straff und doch meist weit entfernt von tangotypischer Einfachheit, lebendig, spritzig und durch viele Soloeinlagen geadelt, kurbelte Andreas Neubauer in organischer Verwachsenheit mit dem Ganzen permanent die Stimmung an. Ein Kontrabassist, der auch und immer wieder höchst melodisch agiert, seinem Instrument eine immens breite Klang- und Ausdruckspalette entlockt und die Musik mehr mitlebt als spielt mutiert vom Begleiter unversehens zum kongenialen Komplizen, der Impulse gibt, dialogisiert, kommentiert. Hanns Höhn vermochte mit seinem nuancierten Spiel die Aufmerksamkeit, nicht nur in seinen meisterhaften Improvisationen, immer wieder auf sich zu ziehen und trug so nicht unerheblich zum homogenen Gesamtbild bei: tangolastiger spannender Modern Jazz. Erst nach zwei Zugaben durften die Hessen von der Bühne.

Gez. Dr. Helmut Schönecker