17.01.2020: Stephan-Max Wirth Experience – Jazzclub Biberach e.V.

17.01.2020: Stephan-Max Wirth Experience

Stephan-Max Wirth Experience überzeugen zum Saisonauftakt

Überschäumende Kreativität für Kopf und Herz

BIBERACH – Gekrönt mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik für ihre luxuriöse Spezial-Edition – einer CD-Box mit vier herausragenden Livekonzerten aus den letzten zehn Jahren der mittlerweile 25jährigen Bandgeschichte – konnte die gefeierte deutsch-holländische Formation um den Berliner Saxophonisten Stephan-Max Wirth zum Saisonauftakt des Jazzclubs zahlreiche begeisterte Fans in den Jazzkeller locken. Viele Gäste waren sogar aus Ulm, Ravensburg, Friedrichshafen oder dem Allgäu angereist um den besonderen Anlass nicht zu verpassen. Sie wurden ebenso wenig enttäuscht wie die Fans aus der näheren Umgebung. Wirths mittlerweile drittes Konzert in Biberach war schon beinahe ein Heimspiel. Langanhaltender, stürmischer Applaus und lautstarke Begeisterung kulminierten denn auch in zwei Zugaben, die zweite eine freie Improvisation über ein Thema aus dem Publikum.

Über zweieinhalb Stunden druckvoller, abwechslungsreicher Breitband-Jazz hielt die dichtgedrängt sitzenden Gäste permanent in Atem. Bereits die Titel der Kompositionen des Bandleaders, wie „Second Sun“, „Bluesmaschine“, „Space in Time“, „Kamsin“, „Winter in Paris“ oder „Ellipse“ ließen die Vielschichtigkeit und Komplexität ihrer Inhalte erahnen. Als sich dann – als eine äußerst seltene Rarität im Jazz – sogar ein zweistimmiger Kanon zwischen Saxophon und Gitarre, gleichermaßen filigran und druckvoll begleitet von E-Bass (Bub Boelens) und Schlagzeug (Florian Hoefnagels), ins Programm schlich, war auch noch dem letzten Besucher klar: hier weht nicht nur ein Hauch von Exklusivität.

Ob es die raffinierte Rhythmik im gebrochenen, nach Wirths Aussage „nicht ganz runden“ Dreiertakt in „Ellipse“ oder die darin enthaltenen, weit ausgreifenden und strukturbildenden Ritardandi waren, ob es die, den trocken-heißen Wüstenwind aus der Sahara symbolisierenden, wild wirbelnden und hochvirtuosen Passagen von Gitarre (Jaap Behrends) und Saxophon mit orientalisch anmutender Melodik in „Kamsin“ oder die tief empfundene „Ballade Triadique“ mit ihrer tragisch-düsteren Anmutung und den weiten Spannungsbögen waren, Kopf und Herz wurden durch die immense Bandbreite überschäumender Kreativität gleichermaßen gefordert. Ein opulentes Aufgebot exquisit aufbereiteter Sujets, ein durch unterschiedliche Spieltechniken aller Beteiligten und diverse Effektgeräte des Gitarristen erzeugtes klangliches Multiversum in einer bisweilen symphonisch anmutenden strukturellen Dichte führte ins pralle, stark ausdifferenzierte Leben des modernen Jazz.

Aus der klanglich und strukturell komplexen Dichte vieler Titel brachen in bester Jazztradition immer wieder dialogisierende Interaktionen zwischen den einzelnen Akteuren hervor um unversehens in homogenen Unisono-Passagen, gelegentlich auch in rasante Dissonanzparallelen zu münden oder sich plötzlich in ungezügelt amorpher Aggressivität unvermittelten Nebeneinanders wieder zu finden.

Die bunte Vielfalt, die sich auch im Outfit der Musiker widerspiegelte, verlor sich jedoch keinesfalls im Beliebigen oder gar unverbindlich Oberflächlichen. Jeder Ton hatte seinen Platz in einer ausgewogenen, gut ausbalancierten Architektur. Nichts schien dem Zufall überlassen, kein Ton überflüssig. So klingt gute Musik mit Niveau die ganz selbstverständlich ohne virtuoses Getue, oberflächliche Effekthaschereien oder kommerzielle Hintergedanken auskommt. So klingen würdige Preisträger des renommierten deutschen Schallplattenpreises.

Text: H. Schönecker
Fotos: H. Schönecker