13.11.2022: Max Mutzke & Marialy Pacheco – Jazzclub Biberach e.V.

13.11.2022: Max Mutzke & Marialy Pacheco

„Wunschlos süchtig“ mit Marialy und Max in der Stadthalle

Duoprogramm „Unsere Nacht“ spricht Biberacher Publikum an

BIBERACH – Rasend schnell waren die mitgebrachten CDs, vor allem die von Marialy Pacheco und Max Mutzke gemeinsam produzierte CD „Duets“, ausverkauft. Aber dieses Beweises für ein überaus begeisterndes Konzert in einer nahezu ausverkauften Stadthalle hätte es gar nicht bedurft. Ein guter, frisch gestimmter Bösendorfer Konzertflügel, exquisiter Sound, stimmungsvolle Beleuchtung, gutes Catering, erträgliche Temperaturen, volle Ränge und vor allem ein zum aktiven Mitmachen aufgelegtes und beifallsfreudiges Publikum inspirierten die beiden Künstler und ließen von Anfang an die Funken sprühen. Noch mehr als bei Mutzkes Originaltiteln brachten die exklusiven Arrangements von Marialy Pacheco sowie die intime Interaktion des Duos, untereinander und mit dem Publikum, die Seele der Musik und deren humanistische Botschaften zur Geltung.

Im sensiblen, aufgeschlossenen Miteinander trifft künstlerische Offenheit auf bodenständige Natürlichkeit. Mutzkes Heimatgefühle vom Südschwarzwald als dem wohlhabenden „Speckgürtel der Schweiz“ treffen auf Pachecos vormalige Gefühle des Eingesperrtseins im verarmten, menschenverachtenden Kuba. Die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit einer liberalen Demokratie trifft auf staatliche Zensur und ideologische Enge einer politischen Diktatur. Beide Künstler verdeutlichten ihre Überzeugungen nicht nur in den Anmoderationen – Kunst und Kultur seien die Leitplanken gesellschaftlichen Miteinanders. Ungleich glaubwürdiger und intensiver veranschaulichten sie diese Intentionen aber in den für das Konzert zusammengestellten Songs, zumal in deren jazzaffiner Offenheit und Spontaneität.

Ein solistisches Intro der gefeierten Jazzpianistin, dann ein ausgeprägt interaktives „Du Und Ich“ über einer ostinaten Begleitfigur, beginnend mit der warmen, souligen Gesangsstimme aus dem Off und schließlich die aktive Einforderung des Miteinanders in dem Song „Nimmst du mich in den Arm“ mit ausgeprägt lyrischen Teilen und nachdrücklicher Publikumsbeteiligung, spiegelte die Dramaturgie des Programmes, die Botschaften der Künstler eindrucksvoll wider. Rückt zusammen, sucht Nähe und Menschlichkeit, erzählt euch „Gute Geschichten“. Lasst uns zusammenfinden in „Unserer Nacht“, denn wir sind „So viel mehr“ – wenn wir aufeinander zugehen. Achtsamkeit ist dabei „Die beste Idee“. Eine überraschend nachgeschobene aber durchaus jazztypische Schlussdissonanz im Klavier, die berühmte „sixte ajoute“, sorgte auch bei Max Mutzke für ein kurzes Schmunzeln. Löste sich damit die „beste Idee“ schließlich doch nicht im finalen Dur-Wohlklang auf, sondern bekam durch den „schrägen“ Ton zusätzlich Würze, Farbigkeit und Offenheit. Vielleicht war dies Marialys Anspielung auf den folgenden Song „Wir sind eine große Familie“, den Mutzke in der Anmoderation mit einem Bonmot aus Köln anpries: „Arsch Huh, Zäng ussenander“ steht demnach für das gemeinsame Eintreten gegen Rechtsextremismus und Rassismus unter dem Motto „Köln stellt sich quer“. Die Kampagne gegen rechte Gewalt aus der Kölner Musikszene der 1990er Jahre wendete sich dabei, wie Mutzke und Pacheco, vor allem gegen eine weitverbreitete biedere Selbstzufriedenheit und Sprachlosigkeit gegenüber gesellschaftlichen Missständen.

Inspiriert durch seinen Fernsehauftritt 2019 bei „The Masked Singer“ als Astronaut entstand Mutzkes Song „Back To The Moon“. Mit kräftiger, rauer und ausdrucksstarker Naturstimme, gelegentlich ins Falsett oktaviert, kontrapunktiert durch filigrane Klaviermotive und stimulierende „Fill-Ins“ lief der Abend mit dem ersten englischsprachigen Songtitel auf seinen Höhepunkt zu. Trotz der ungewöhnlichen Duo-Besetzung und der gegenüber dem Original sehr freien und komplexen Klavierbegleitung gelang der gerappte Funky-Hip-Hop-Titel „Regulate“ überaus überzeugend. Die Unplugged-Zugabe im verdunkelten Saal ging dann in ihrer unmittelbaren Authentizität buchstäblich unter die Haut und dürfte in vielen Ohren noch lange nachgewirkt haben.

Text und Fotos: Helmut Schönecker