10.05.2019: Charles Davis | Four or more Flutes – Jazzclub Biberach e.V.

10.05.2019: Charles Davis | Four or more Flutes

„Fluturistischer“ Triumph der leisen Töne

Charles Davis mit „Four or more Flutes“ im Jazzkeller

BIBERACH – Rund 20 Flöten, von der höchst selten zu hörenden Kontrabassflöte über diverse Barockflöten, die typisch gebogenen Tenor- und Altflöten, über die weitverbreitete große Flöte bis hin zum kleinen Piccolo aus verschiedenen Materialien und in wechselnden Kombinationen von fünf gestandenen Musikern aus drei Ländern gespielt. Auf der Bühne fand sich ein Arsenal wie aus einem Musikinstrumentenmuseum. Kann aus einer solchen Zusammenstellung Jazz entstehen? Den Beweis lieferten Charles Davis und sein Ensemble „Four or mor Flutes“ beim Freitagskonzert des Jazzclubs.

Überwiegend leise Töne und feinsinnige Unterhaltung, hintersinniger Humor, ein überraschend variantenreicher Sound sowie eine enorme stilistische Bandbreite kennzeichneten den Auftritt der ungewöhnlichen Formation aus dem Bodenseeraum.

Überblasene, mit Atemgeräuschen überlagerte und damit geräuschhaft, perkussiv wirkende Flötentöne kennt man etwa von Ian Anderson und Jethro Tull. Durch Hineinsingen ins Instrument und in Verbindung mit den instrumentalen Klangfarben erzeugte, mehr oder weniger harmonische Kombinationstöne und Mischklänge machte zuerst der weltbekannte deutsche Posaunist Albert Mangelsdorff salonfähig. Den klanglichen Einsatz von Klappengeräuschen kennt man aus der experimentellen und modernen Musik. „Four or more Flutes“ erweiterten unter Einsatz all dieser Möglichkeiten und darüber hinaus durch zahlreiche Zisch-, Rausch- und Plosivlaute bis hin zu echtem Gesang oder gesprochener Sprache die verfügbare Klang- und Ausdruckspalette ohne Zuhilfenahme elektronischer Mittel bis an die Grenzen des Vorstellbaren.

Ausnahmslos alle Kompositionen des Abends stammten von den fünf Ensemblemitgliedern und zeigten großen Einfallsreichtum, vielfältige Strukturen und eine breites stilistisches Spektrum. So enthielt Stefan Mölkners „My Waltz“ über den üblichen 3er-Takt hinaus gelegentlich überzählige oder fehlende Schläge um damit auf humorvolle Weise das Stolpern eines schlechten Tänzers (als den er sich selbst outete) zu symbolisieren. Eine als Hommage an Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“ anmoderierte „arabische Fuge“ fand sich nach voll polyphoner Exposition und virtuosen Zwischenspielen plötzlich über einem „Walking Bass“ im jazzigen Swingfeeling groovender Homophonie wieder. Norbert Dehmkes Stücke ließen oft bereits im Titel ihren Hintersinn erkennen, der sich dann oft auch in der Musik wieder spiegelte. „A Worms Stickl“ – tirolerisch gesprochen aber in der alten Kaiserstadt Worms entstanden – führte nach choralartigem Beginn in einen balladesken Dialog zwischen solistischen, improvisierten (?) Kantilenen über einem Ostinato der Kontrabassflöte.

Dehmkes Swingtitel „Moltoviel“ wies keinen oberflächlichen Verputz nach dem Motto „Viel Lärm um Nichts“ auf sondern fiel durch eine hohe strukturelle Dichte in bigbandartiger Satztechnik, Walking Bass mit darüber gelegten Solo-Improvisationen auf. Charles Davis, der seit vielen Jahren in Konstanz lebende australische Jazzflötist, musikalischer Kopf und Initiator der Truppe, steuerte unter anderem mit „Two Continents“ eine eindrucksvolle Komposition zum Programm bei. Das zunächst nachdenklich wirkende Stück erinnerte mit weitgespannten Linien, klanglichen Assoziationen an das obertonreiche Didgeridoo als typisches Instrument der australischen Ureinwohner, der Aborigines an grandiose Landschaften in unendlicher Weite. Im zweiten Teil des Stückes schienen die aufgeregt und hektisch wirkenden Töne der Piccoloflöte über wechselnden Begleitstrukturen für das zeitgenössische, heterogene Europa unserer Tage zu stehen. Von Andieh Merk und Felix Hodel kamen Stücke wie „11er raus“ über das gleichnamige Gesellschaftsspiel oder die exotisch wirkende „Dune Tune“. Letzteres mit einem ausgedehnten, hochvirtuosen und expressiven Solo Hodels unter Einbeziehung von Glissandi, Portamenti das an die Einsamkeit der Beduinen in den Dünen der Sahara erinnerte.

Text und Fotos: Helmut Schönecker