06.02.2004: The Shin – Jazzclub Biberach e.V.

06.02.2004: The Shin

Jazz aus Georgien mit „The Shin“ im Biberacher Jazzkeller

Musikalischer Parforceritt kaukasischer Cowboys

Sichtbare Spielfreude auf Seiten der vier georgischen Musiker und offenkundiger Hörgenuss beim zahlreich erschienenen Publikum vermittelten ein tiefes Glücksgefühl nicht nur beim veranstaltenden Jazzclub. Die Guitar-Nights versprechen zum Erfolgsmodell zu werden.

 

„The Shin took Five“ hieß, in Anspielung auf das berühmte, doch etwas stereotype „Take Five“, eine der herausragenden Eigenkompositionen des inspirierten Konzertabends. Außer dem 5er Takt gab es jedoch keine Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Stücken, im Gegenteil, da wo in „Take Five“ mit minimalistischen Mitteleinsatz und häufigen Wiederholungen ein Ohrwurm installiert wird, da herrschte bei „The Shin“ kreative Vielfalt in jeglicher Hinsicht. Egal ob in dem einleitenden Kosakenritt oder in dem Song von dem Kartoffelbauern, der es auf dem Markt in der großen Stadt gleich mit 20 Ganoven aufnimmt, in den pittoresken Kompositionen der georgischen Band fand sich eine Überfülle von originellen Einfällen in praller Daseinsfreude, voller Temperament und Leidenschaft. Besonders sinnfällig die Stelle, wo der Karren mit den Kartoffeln umfällt – dargestellt vom tadellos agierenden Schlagzeuger Ray Kaczynski, der mit großer theatralischer Geste beinahe sein Set über den Haufen warf.

 

Die klangliche Varianz der Standard-Besetzung aus meisterlich gespielter akustischer Gitarre (ZaZa Miminoshvili), virtuos gezupftem Fretless E-Bass (Zurab J. Gagnidze), Schlagzeug und Gesang war auch für Vollprofis ungewöhnlich. Unter Einsatz aller denkbaren spieltechnischen Mittel und mit einem gehörigen Schuss Exotik bereiteten die vier Musiker mit großer Sorgfalt und ästhetischem Feingefühl einen süffig-prickelnden Klang-Cocktail zu, erzeugten einen eigenständigen, höchst charakteristischen Sound, irgendwo zwischen Folklore, Weltmusik und Jazz. Die modulationsfähige, sympathische Stimme des Sängers Mamuka Ghaghanidze, der vor allem auch mit hierzulande im professionellen Gesang weniger gebräuchlichen Falsetttechniken charmante Effekte erzielte, krönte den prächtigen Klangeindruck. Entstand eben noch der Eindruck von sentimentalem Klezmergesang, groovte es im nächsten Moment in erdiger Bluesrockmanier, glaubte man gerade noch den Ruf des Muezzin aus seinem Minarett zu vernehmen, lockte gleich darauf die inspirierteste Jazzballade in ganz andere Weltgegenden und Etablissements. All diese Mannigfaltigkeit wurde jedoch zusammengehalten durch ein Musikgefühl, auf welches nur der, wenn auch vielstrapazierte, Ausdruck „Vollblutmusiker“ passt. Die aufregende, vielschichtige Musik von The Shin machte durchaus Appetit auf mehr „kaukasische Kultur“. Was immer sich auch ursprünglich dahinter verbergen mag, dergestalt aufbereitet, bietet diese Musikauffassung eine außerordentliche Bereicherung der westlichen Kulturszene oder wo sonst kann man originären Jazz hören, der höchstens beiläufig mal amerikanisch klingt? Erst nach zwei Zugaben, völlig „geschafft“ und durchgeschwitzt, durften die ihrerseits vom Biberacher Publikum begeisterten Georgier die Bühne verlassen.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker