Archiv – Seite 109 – Jazzclub Biberach e.V.

11.01.2004: Jailhouse Jazzmen

Volle Pulle Weissbier – Schwungvoller Start in die neue Jazz-Saison

Jailhouse Jazzmen als ultimative Frühschoppenband

Das neue Jahr 2004 hat in Biberach ohne Zweifel eine Traditional Jazz – Renaissance der besonderen Art eingeleitet. Ausschlaggebend hierfür waren die aus ihrem Knast am Bodensee ausgebrochenen, von Konstanz und Überlingen über Ravensburg und die B 30 nach Biberach entkommenen Jailhouse Jazzmen.

Nur einer glücklichen Fügung ist es zu verdanken, dass die „kriminellen Seehasen“ im Biberacher Jazzkeller „inhaftiert“ und schließlich dem in Massen zusammengeströmten Publikum vorgeführt werden konnten. Dieses ließ von Anfang an keinen Zweifel daran aufkommen, dass die sieben finsteren „Jazz-Ganoven“ nicht so ohne weiteres davonkommen würden. Auch der Umstand, dass diese sich als „Ehrenbürger“ von New Orleans auswiesen, konnte das begeisterte Publikum nicht zu mildernden Umständen bewegen: die Knastbrüder mussten über die volle Distanz von 3 Sätzen und durften auch nach zweieinhalb Stunden erst nach mehreren Zugaben von der Bühne gehen. Und nur mit größter Mühe und selbstlosem Einsatz konnten die Verantwortlichen des Jazzclubs für die wackeren Jazzmänner noch einige wenige Weisswürste vor dem Zugriff der aufgedrehten Zuschauer retten.

„Ein Mann wie ein Baum – ein Bonsaibaum“, so stellte der eloquente Moderator Wolfgang Skupin, der im Nebenjob ganz passabel Banjo spielt, den heimlichen Superstar der Jailhouse Jazzmen vor: Miki Ampoitan. Dem ehemaligen Klarinetten- und Saxophonstar der staatlichen rumänischen Radio Bigband merkt man seine 76 Jahre kaum an. Dezent, fast schüchtern, mit verstecktem Humor und großem Enthusiasmus gespielt, treffen seine Improvisation ohne jegliches Getue mitten  ins Schwarze. Herausragend seine Interpretation von Sidney Bechets Klarinetten-Welthit „Petite fleur“, verklärte Blicke und lang anhaltender Beifall eines inspirierten Publikums ließen den körperlich kleinen musikalischen Riesen über sich selbst hinaus wachsen.

Zünftig, voller Leidenschaft und Spielwitz zeigten sich auch die weiteren Musiker in einer New Orleans Jazz – Standardbesetzung aus Saxophon (Daniel Sernatinger), Trompete (Franz Ege), Posaune (Hans Helbig), Banjo/Gitarre (Wolfgang Skupin), Kontrabaß (Hans Schornick) und Schlagzeug (Klaus Helbig). Herrliche Kollektivimprovisationen der Frontmänner, interessante, abwechslungsreiche Arrangements von Daniel Sernatinger sowie der richtige Swing und Groove von der Backline hinterließen einen nachhaltigen Eindruck und brachten in Verbindung mit der richtigen, familienfreundlichen Titelwahl die Stimmung von Beginn an auf Hochtouren. Der „Flat Foot Floogie“, „Puttin’ on the Ritz“, „Savoy Blues“, ein Dschungelbuch-Medley und andere Oldtime-Highlights ließen selbst die Füßchen und Köpfchen der zahlreich vertretenen allerjüngsten Zuhörer mitwippen. Auch so gewinnt der alte Jazz neue Fans. Die Reststrafe der Jailhouse Jazzmen wurde dem Vernehmen nach gegen die Auflage, in spätestens einem Jahr sich wieder zu einem Auftritt in Biberach einzufinden, zur Bewährung  ausgesetzt.

 

Gez. Dr. H. Schönecker

05.12.2003: Brass Mission 

Brass Mission erfüllen ihre Mission im Biberacher Jazzkeller

Edelmetall-Exhibitionisten

Fünf kapitale Mannsbilder der besonders standfesten Sorte, exzellente Blechbläser, exponierten sich im Rahmen der neuen Biberacher Veranstaltungsreihe „Brass partout“ am Freitagabend im Jazzkeller vor einem begeisterten Publikum: Geglückte Brass Mission im Jazzkonzert.

Drei ausdauernd erklatschte und bereitwillig gewährte Zugaben gaben Zeugnis von dem besonders im zweiten Set bei Publikum und Musikern gleichermaßen kulminierenden Enthusiasmus. Witzig-Ironisches, wie etwa eine hintergründige Persiflage über das von Albert Mangelsdorff in den Jazz eingeführte mehrstimmige Spiel auf einer Posaune, stand unmittelbar neben so Andächtig-Weihevollem, wie dem der Jahreszeit geschuldeten finalen Weihnachts-Special . Von warmen Bläserchoral-Klängen bis zu messerscharfen Bigband-Riffs, von melancholischen Bluesballaden zu modernen Jazz-Aphorismen reichte die Palette an Ausdrucksvarianten, die je nach Bedarf auf dem weicheren Flügelhorn oder der härteren Jazztrompete erklangen. Frappierend dabei die musikalische Eloquenz, mit der gewöhnliche, nur durch das Spiel mit der Raumakustik geadelte, tumbe Nachschläge mit höchst virtuosen, über das viergestrichene „c“ hinaufführenden Jubelarien verbunden wurden.  Dass dabei immer wieder auch ein sportlicher Aspekt des „Höher, Schneller, Weiter“ in den Vordergrund trat, liegt wohl in der Natur solch exzellenter Blechbläser, die einen gewissen exhibitionistischen Grundzug nicht verleugnen konnten. Die gegenseitigen Huldigungen bei geglückten olympiaverdächtigen Höhen- und oftmals auch gefährlichen Gratwanderungen ließen das Publikum an den wagemutigen Abenteuern der wackeren, edlen Trompetenheroen Jürgen Roth, Joachim Kunze und Martin Auer teilhaben. Der pejorative Begriff „Blech“ sollte angesichts solcher Leistungen eher durch Edelmetall ersetzt werden.

Bei weitem am erstaunlichsten an „Brass Mission“ war jedoch das Bandkonzept und hier vor allem der ungewöhnliche Band-Groove. Die Standardformation eines klassischen Blechbläserquintetts wurde mit drei Trompeten, Posaune und Tuba eben so neu definiert wie das typische Jazzensemble, wobei das Fehlen von Rhythmusinstrumenten de facto kaum ins Gewicht fiel, da der begnadete Tubist Harold Nardelli die komplette Rhythmus-Section in Personalunion verkörperte. Seinem solide groovenden Fundament verdankte „Brass Mission“ die Gelegenheit für zahlreiche musikalische Höhenflüge. Noch am ehesten in Stücken wie „Ant Square Dance“ oder „Meine Tante aus Böhmen“ klangen Standardmuster der Blasmusik hindurch. In „Don’t leave a friend with an empty bottle of wiskey“ und einer Reihe weiterer Eigenkompositionen fand die Musik hingegen zu ganz eigenen pittoresken Ausdruckformen. Der kanadische Posaunist Allan Jacobsen bot bei all dem einen sympathisch dezenten Kontrapunkt zu den drei dominierenden Trompeten, spielte aber mit seinen teilweise hochvirtuosen Beiträgen beileibe keine Nebenrolle.

 

Gez. Helmut Schönecker

22.11.2003: Kerberbrothers Alpenfusion 

Jazz meets Volksmusik: Alpenfusion

Nichts für Puristen war das Konzert am vergangenen Samstag im Biberacher
Jazzkeller. „Schlichte Heimatmusik“ befürchteten eingefleischte Jazzfans,
„wilde Negermusik“ die bodenständigen Freunde der Volksmusik. Wer aber mit
offenen Ohren und Augen kam, wurde belohnt mit einer hinreißenden Mischung
aus alpenländischer Musiktradition und allen Stilrichtungen des Jazz, eben
mit „alpinem und transglobalen Ethnojazz“.
Dass die drei aus Oberstaufen stammenden Kerberbrüder einer bekannten
Volksmusik-Familie, die auf internationalen Wettbewerben und auf
Konzertreisen erfolgreich ist, entstammen, war zunächst nur an den
aufgebauten Musikgeräten ersichtlich: Alphorn, Hackbrett, Zither, Akkordeon
und Scherrzither zählen nicht zu den üblichen Jazzinstrumenten. Und auch die
Eingangsstücke waren voller groove und frei von Jodlern. „Wir brauchen das
manchmal“ entschuldigte sich Martin Kerber, der zwischen den Stücken
Hintergründiges zur Familiengeschichte beisteuerte.
Mit einem Marsch von Mutter Kerber aber stieg das Quintett in sein
kreatives, witziges und voller Überraschungen steckendes Konzept ein: die
gefestigten Strukturen der Volksmusik zu konfrontieren mit den freieren
Spielformen des Jazz. Da erfuhr der Ländler eine längst fällige
Überarbeitung, wurde gestreckt und dann in Richtung Bebop beschleunigt.
Anderem alpenländischen Urgut erging es nicht besser: verzerrt und
kontrastiert durch tanzbare Rhythmen bekam es jedoch eine neue Bedeutung.
Auch den typischen alpenländischen Instrumenten wurden völlig neue Klänge
und Rhythmen abgerungen: Die Zither klang mal wie Gitarre, mal wie ein
Keyboard, Alphorn und Waldhorn erinnerten mitunter an ein Saxophon. Die
Überraschungen, die in den Kompositionen von Andreas Kerber (Gitarre,
Waldhorn, Hackbrett, Alphorn, Gesang) steckten, waren spannend und
herzerfrischend amüsant. Da passte der Jodler, „den man von den Bergen
ablesen muss“, plötzlich wunderbar zu Rockjazz und das Alphorn-Solo ging in
einem kräftigen Bläsersatz auf. Auch die Kerberbrüder Markus (Flöte, Sopran-
und Tenorsaxophon, Gesang) und Martin (Trompete, Zither, Akkordeon,
Scherrzither, Gesang) zeigten, dass sie mehrere musikalische Studiengänge
hinter sich haben. Kongenial und einfühlsam wurden die drei
Multiinstrumentalisten durch ihr Rhythmusduo unterstützt: dem Kaufbeurer
Bassisten Tiny Schmach und Pit Gogl aus Immenstadt am Schlagzeug.
In Biberach absolvierten sie ihr letztes Konzert als „Alpenfusion“ in diesem
Jahr, bevor sie mit den Eltern wieder „Stubenmusi“ spielen. Bleibt den
begeisterten Zuhörern nur das Warten auf die neue CD und die Hoffnung auf
ein Wiedersehen im Biberacher Jazzkeller.

Frank Raumel
Widdersteinstrasse 94
88400 Biberach
Tel. 07351/14317

07.11.2003: Isolde Werner Band 

Isolde Werner Band mit Karo Höfler im Biberacher Jazzkeller

Subtiles Kreisen ums Ich

Ego sum Isolde! Hätte eine solch plakative Selbsterkenntnis den Beginn des Konzertes am vergangenen Freitag im Jazzkeller markiert, wäre der Abend halb so interessant geworden. Als „local hero“ gehört die in Bad Waldsee lebende Isolde Werner seit Jahren zum oberschwäbischen Jazz-Urgestein. Aber der Begriff Jazz greift für ihre Musik eigentlich zu kurz. Die rührige Isolde Werner ist in gewissem Sinne öffentlich auf der Suche nach ihrem persönlichen Stil. Und sie macht dabei nicht etwa erschrocken Halt vor Country, Rock und Blues oder Volksmusik. Und sie macht vor allem auch keinen Halt vor Konventionen, sie sucht furchtlos die klischeebeladenen Genres um sich scheinbar in ihr offenes Messer zu stürzen. Glücklicherweise ist ihr musikalischer Ansatz ein originärer Jazzansatz und so gestaltet sich die Suche nach einem Personalstil als subtiles Kreisen um ihr musikalische Ich.

 

Dass ihr Konzept am Freitagabend im Jazzkeller auf hochkarätige Mitstreiter traf, die kurzfristig eingesprungene, hochdekorierte Karo Höfler am Kontrabass veredelte das Ganze noch, ließ die musikalische Rechnung voll und ganz aufgehen. Anfängliche Spannungen lösten sich schnell auf und spätestens mit Beginn der psychedelisch geprägten Nummern des zweiten Sets war auch der gemeinsame Nenner gefunden. Melanies Nickelsong, gewissermaßen eine Jugendliebe von Isolde Werner, Songs von Neill Young und Bob Dylan  sowie der Einsatz einer Schlitztrommel, wie sie in der rhythmisch-musikalischen Früherziehung Verwendung findet, lösten alle Begrenzungen, ließen Werners musikalischen Weg sinnfällig werden: Hindurch, nicht drum herum. Der Stuttgarter Gitarrist Uwe Metzler erwies sich hierbei als erfrischender Aktivposten.

 

Konventionelle Titel, einprägsame Melodien, bekannte Harmoniefolgen, geläufige Rhythmen. Gefällige Tanz- und Unterhaltungsmusik hätte die Folge sein können. Aber Nein! Alle Beteiligten mobilisierten ein hohes Maß an Kreativität um eben gerade nicht auf die überall lauernden Klischees hereinzufallen, um mit einem Minimum an genretypischen Mitteln das Gewohnte neu zu definieren, gegen den Strich zu bürsten, zu parodieren und zu karikieren. Die versammelten Vermeidungsstrategien aller Bandmitglieder machten das Zuhören zu einem amüsanten Erlebnis. Wie schafft man es, einen eher abgeschmackten amerikanischen Folksong  á la „Home on the range“ unter Einsatz von Singstimme, Akkordeon, Gitarre, Kontrabass und Schlagzeug so zu transformieren, dass er gleichzeitig noch gut erkennbar und dennoch nur Mittel zum höheren Zweck, zum Katalysator einer guten, überzeugenden, improvisierten Live-Musik wird? Einfach Isolde Werner und ihre Band fragen.

31.10.2003: Böhm Huber Daneck Trio feat. Ingrid Jensen 

Ausnahmekonzert im vollbesetzten Biberacher Jazzkeller

Traum-Jazz aus höheren Gefilden

Drei herausragende Musiker, zwei veritable Komponisten und die sanfte trompete- und flügelhornspielende Powerfrau Ingrid Jensen im Zentrum des Universums. Dies war der vorherrschende Eindruck beim gut besuchten Sonderkonzert des Jazzclubs Biberach am vergangenen Freitag im Jazzkeller.

Mit einer dezenten aber gleichwohl souveränen Bühnenpräsenz ohne aufgesetzte Manierismen machte der gefeaturete kanadische Trompeten-Star vom ersten Stück an deutlich wer hier das Sagen hat. Mal wurde der im übrigen tadellos agierende Schlagzeuger, Komponist und Moderator Matthias Daneck für einen fehlenden Hinweis auf eine ihrer Kompositionen auf offener Bühne gerügt, mal holte Ingrid Jensen, die unumstrittene Chefin auf dem Podium, ihre Jungs – vor allem den genialen Piano-Virtuosen Rainer Böhm, an dessen brillantem Spiel man sich nicht satt hören konnte – mit scharfen Zurufen aus den Untiefen selbstvergessener Improvisationen vom anderen Stern zurück oder fuhr mit weichen aber bestimmten Flügelhornklängen dem preisgekrönten jungen Bassisten Arne Huber in die Parade. Mit selbstkritischen Gesten gab die in New York lebende Trompeterin aber auch unumwunden ihre wenigen eigenen Nachlässigkeiten kund. Dem musikalischen Gesamteindruck tat dies gleichwohl keinen Abbruch. Die zahlreichen Besucher durften ein kurzweiliges, in jeder Hinsicht gelungenes Jazzkonzert auf hohem Niveau erleben.

Die höchst abwechslungsreiche Musik gab sich stilistisch als eine Unterströmung im modernen bebopdominierten Mainstream, durchsetzt mit rasanten Skalen, gewagten Harmonien und packenden Rhythmen. Gleichwohl machte die Individualität und Gestaltungskraft der Musiker daraus etwas Besonderes. So verlor etwa Ingrid Jensen auch in den schwierigsten Passagen trotz höchst ausdrucksvoller Spielweise äußerlich nie ihre Coolness und eine gewisse innere Distanziertheit ließ sie auch in turbulenten Szenen immer den Überblick behalten. Und turbulent ging es mitunter schon zu, wenn die in ihren Bereichen mehrfach preisgekrönten Musiker so richtig aufdrehten und eine überbordende Fülle musikalischer Einfälle in Echtzeit verarbeiteten. Heraus kam eine hochkomplexe musikalische Struktur, die bei aller Dichte doch auch gefällig und gut durchhörbar blieb, die jedoch auch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit einforderte.

„Higher Grounds“, so eine der Eigenkompositionen von Ingrid Jensen, spiegeln exemplarisch wieder, wo sich diese Musik abspielte, in höheren musikalischen Gefilden. Da wo brillante Technik und höchste Virtuosität nicht zum Selbstzweck da sind, wo die vollständige Beherrschung des Instrumentes die selbstverständlichste Grundvoraussetzung für intensive Kommunikation und Interaktion bildet und der Zuhörer nicht bloß verblüfft oder unterhalten wird, dort wo sich Musiker nicht hinter ihrer Professionalität verstecken und wo billige Effekte tief empfundenen Affekten weichen, in diesen höheren Sphären bekommen Worte wie Qualität und Niveau wieder ihren tieferen Sinn: Traumhafter Live-Jazz.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker