Archiv – Seite 113 – Jazzclub Biberach e.V.

19.04.2002: Salto Vocale 

Konzertkritik „Salto Vocale“ von Freitag, 19.04.2002 im Jazzkeller

Vokales „Entertainment“ auf hohem Niveau im Jazzkeller

Salto Vocale – ohne Netz und doppelten Boden

Vier echte Vokalsolisten, Stephanie Ruch (Sopran), Annette Riesterer (Alt), Florian Städtler (Tenor) und Thomas Reck (Bass), alle mit hochflexiblen Stimmen, großer Souveränität und solistischer Individualität gesegnet, stellten sich im Freitagskonzert des Biberacher Jazzclubs bedingungslos in den Dienst der gemeinsamen Idee, nahmen sich bewusst zurück zugunsten einer homogenen, bravourösen Ensembleleistung. Gelegentliche Solonummern konnten allesamt überzeugen, blieben aber letztlich nur Facetten einer eindrucksvollen Performance eines hervorragenden Satzgesanges etwa in der Tradition von „Manhattan Transfer“.
Die anfängliche Reserviertheit verlor sich rasch im gut besuchten Jazzkeller, wenn auch offene Begeisterung und spontane Anfeuerung sich erst im letzten Programmdrittel Bahn brechen konnten. Genau genommen ab dem Moment, ab dem so populäre Titel wie „Round Midnight“, „Just a Gigolo“ oder gar ein mitreißendes Broadway-Medley mit den entsprechenden Erfolgshits „Showbusiness“, „I got rhythm“, „Dont’t cry for me Argentina“, „New York, New York“ etc. den Korken aus der Flasche knallen ließen. Nun ehrt es die unter dem Sigel „Vocal-Entertainment“ angetretene Freiburger Formation, dass sie nicht auf vordergründige Effekthascherei abhob und abwechslungsreiche, anspruchsvolle, ja schwierige Arrangements einem schnellen und sicheren „Erfolg“ vorzog. Gerade dadurch entstand eben nicht der Beigeschmack vieler international bekannter „Stimmungskanonen“, billige Unterhaltungskonfektion in Hochglanzverpackung für teures Eintrittsgeld zu bieten sondern eine echte Verschmelzung der musikalischen Genres zu einem erbauenden Live-Erlebnis. Davon, wie auch von dem köstlichen Scat-Gesang besonders der beiden Herren, bitte mehr!
Die dreiköpfige Begleitband agierte zumeist zurückhaltend und funktional, trug die Sängerinnen und Sänger gewissermaßen „auf Händen“ zum Erfolg. Lediglich der technisch gleichwohl über alle Zweifel erhabene Arne Pfunder am Schlagzeug brachte die Vokalisten mitunter in Gefahr, nicht mehr gar so gut vernommen zu werden, half damit aber auch über anfängliche kleinere Unebenheiten hinweg. Thomas Pieper (Klavier) und Andreas Buchholz (Bass) steuerten, wie auch der Drummer, gelegentliche instrumentale Improvisationen bei, die sie weit über ihre ansonsten nur dienende Rolle hinauswachsen ließen.

Gez. Helmut Schönecker

22.02.2002: Eva-Maria Ogrzewalla 

„Eva-Maria Ogrzewalla“ im Biberacher Jazzkeller

„Mit dem Eisbären auf dem fliegenden Teppich“

Wer Inspiration und Themen zur freien Improvisation so demonstrativ aus dem Publikum schöpft, wie dies die in Ulm lebende Pianistin Eva-Maria Ogrzewalla bei ihrem Konzert im gut besuchten Biberacher Jazzkeller am Freitagabend tat, muss natürlich auch auf weniger gut verwertbare Stichworte gefasst sein. Auf diese Art Kreativität schlägt außerdem die jeweilige Tagesform voll durch. Gleichwohl birgt das damit eingegangene Risiko auch die Chance zu Ungewöhnlichem, zu Überraschendem allemal. Ob sich jedoch die mit Plattheit gepaarte Ironie einer Aussage über das „schöne Wetter“ am Veranstaltungstag aus dem Stehgreif so ohne weiteres musikalisch umsetzen ließe, darf wohl bezweifelt werden. Das musikalische Resultat der Aussage war auf jeden Fall entsprechend. Der pädagogische Hinweis der Solistin auf die möglichst bildhafte Beschaffenheit der zu liefernden Stichworte brachte denn auch bald die erhofften Resultate, etwa den brillanten Spruch vom „Eisbären auf dem fliegenden Teppich“. Dessen musikalische Umsetzung mittels sphärisch-schwebender Klänge auf dem Synthesizer, die sich in der Simulation der Flugbewegungen durch auf- und abschwingende, in ganztonaler Schwebe gehaltenen Skalen und Läufen sowie etwas heftigeren tiefen Tönen für den Eisbären auf dem gleichzeitig bearbeiteten Flügel manifestierte, brachten dem Publikum ein erstes Erfolgserlebnis. Die musikalisch-künstlerische Verbindung von drei aus dem Auditorium gelieferten Akkorden geriet jedoch unversehens wieder zur aphoristischen Pflichtübung mit eher geringem musikalischen Aussagewert.

Die während der Pause vom kreativ entflammten Publikum ausgefüllten Spickzettel brachten im zweiten Set Exkurse in die Jahreszeiten Winter und Herbst. Die zufälligen Anklänge an das berühmte Vorbild mündeten – so ist das wohl mit spontanen Eingebungen – in durchaus an Vivaldi gemahnende stürmisch auf- und abwehende Skalen. Besonders stimmungsvoll äußerte sich der Herzenswunsch der Solistin nach „Wind und Wellen“. Witzig und skurril gerieten die Ausführungen über das Huhn, vielleicht mit leichten Anklängen an Mussorgskys „Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen“, in der Synthesizer-Version von Tomita.

Eva-Maria Ogrzewallas Vorlieben für 3er-Metren, sizilianische Volksweisen und argentinische Tangos brachten zwischen den frei improvisierten Teilen zumeist eine melancholische Note ins Spiel. Ihr Gespür für schlichte aber intensive Melodien, für das Weglassen überflüssigen virtuosen Beiwerks und die Beschränkung auf das Essentielle gab dem Abend etwas nachdenklich Seriöses, das jedoch – frei nach Hölderlins „Menschenbeifall“ – nicht „auf den Marktplatz taugt.“ So gab es denn auch nur eine knappe Zugabe zu hören.

Gez. Helmut Schönecker

08.12.2001: Saxofourte 

„Saxofourte“ im Biberacher Jazzkeller – Konzertkritik

Erlesenes vor übervollem Hause – „Saxofourte“ im Jazzkeller

Mit Bach, Bernstein, Gershwin, Piazolla und anderen großen Namen, mit bekannten Kompositionen, eingängigen Melodien, mit zartem Schmelz und warmem Timbre, hoher Virtuosität und einer Extraportion Sentiment, also den Ingredienzien für ein Erfolgsrezept schlechthin, haben die Akteure beim Konzert des schwäbisch-bayrischen Saxophonquartetts „Saxofourte“ aus Ulm im Biberacher Jazzkeller beinahe alle Dämme brechen lassen. Vier heftig erklatschte und gern gewährte Zugaben zeugten von der Kurzweil des Konzertabends ebenso wie von der Begeisterung des aus weitem Rund höchst zahlreich in Biberach zusammengeströmten Publikums.

Die Fahrt hatte sich gelohnt. Exakt aufeinander eingespielt, bis zur Selbstaufgabe homogen in Ausdruck und Gestaltung, dabei witzig und originell, bewährt und dennoch unkonventionell, boten die vier Saxophon-Virtuosen souverän gespielte Eigenarrangements zeitloser Highlights der Musikgeschichte als Ohrenschmaus, als vorweihnachtliche musikalische Leckereien für Genießer. Herausragend die Medleys aus Bernsteins „West Side Story“ und Gershwins „Porgy and Bess“ mit dem anrührend melancholischen „Summertime“.

Als Primus inter Pares erwies sich der Altsaxophonist Dieter Kraus, der, mit seinem Instrument wie verwachsen, ihm in seidenweichem Klang eine Palette an Affekten in vokaler Eindringlichkeit entlockte, die an ganz große Saxophonisten der Jazz-Ära á la Johnny Hodges erinnerten. Die Melodien wurden hier, trotz aller Professionalität nicht einfach nur heruntergespielt, sondern sensibel und plastisch modelliert, zu seltenen und brillianten Kostbarkeiten geschliffen, die „unter die Haut“ gingen. Voll und warm tönte das Baritonsaxophon von Ralf Ritscher, der überwiegend für das Fundamentale in den Stücken zuständig war, wenn sich nicht gerade polyphone Linien zu barocken Ornamenten rankten. Guntram Bumiller (Tenorsaxophon), der auch für die launige Moderation sorgte sowie Thomas Sälzle (Sopransaxophon) komplettierten den Satz und spielten sich auch im klanglichen Kontrapunkt gegenseitig die Bälle zu.

In einem eigens für „Saxofourte“ komponierten „Bravour-Ländler“ von Christoph Well kulminierte der Spielwitz und die Begeisterung zum bayrischen Finale, in dem wohl kaum ein Auge trocken blieb. Für eingefleischte Jazzfans der einzige Wermutstropfen war der gegen Null tendierende Jazzanteil des Klassik-Pop-Programms sowie das vollständige Fehlen von freieren, jazztypisch improvisierten Passagen.

Gez. Helmut Schönecker