Archiv – Seite 111 – Jazzclub Biberach e.V.

31.01.2003: Charlie Mariano & Dieter Ilg 

Charlie Mariano und Dieter Ilg im ausverkauften Jazzkeller

Musikalische Tautropfen auf verzücktem Publikum

„Wände aus Gummi“ wären vonnöten gewesen um allen Jazzbegeisterten den Zutritt in den randvollen Biberacher Jazzkeller zu ermöglichen. Zwei große Jazzmusiker, Charlie Mariano und Dieter Ilg, hatten auf Einladung des Biberacher Jazzclubs den in diesem Ausmaß noch nicht da gewesenen Run in den Biberacher Jazz-Musentempel ausgelöst, und, soviel gleich vorweg, die hochgesteckten Erwartungen wurden mehr als erfüllt.

In einer schon symbiotisch zu nennenden Beziehung zwischen dem junggebliebenen Altstar am Saxophon und dem hochsensiblen, seit Jahren mit Biberach verbundenen Kontrabassisten wurzelte ein außergewöhnliches Konzerterlebnis. Der fast 80jährige Mariano scheint einem ästhetischen Höhepunkt zuzustreben, willens und in der Lage die Summe aus einem reichen Musikerleben zu ziehen, gefeatured von einem kongenialen „Begleiter“, der gleichsam die musikalischen Gedanken der lebenden Legende lesen und sogar vorausahnen kann. Ilg motivierte, inszenierte, feuerte an. Ilg hatte aber auch Sinn fürs Aphoristische, für knappe Andeutungen, dezente Impulse. Beseelte Ostinatofiguren, minimalistisch oder mit reicher harmonischer Binnenstruktur, legten den Grund für die solistischen Höhenflüge des Altmeisters. Dessen tief empfundene und dabei hoch expressive Melodien kamen in einer Eindringlichkeit und Intimität, der sich niemand entziehen konnte, ohne jede Verstärkung aus der Mitte des Publikums, das sich aus Platzmangel auch noch auf der Bühne niedergelassen hatte.

Bereits die ersten Töne des Jazzstandards „All the things you are“ ließen die Zuhörer in eine überirdisch anmutende Klangwelt, einen Kosmos an Klangfarben eintauchen, die vom zart gehauchten, unterkühlten Pianissimo-Klang, über zupackend kraftvolle Saxophontöne bis zum ekstatischen „Knarren rostiger Scharniere“ reichte. Die transzendente Welt der Flageolett-Töne eröffnete die seltenen Dimensionen spirituellen Ausdrucks, die in Verzückung versetzen kann. In „Tsuyu“, einer seiner Lieblingskompositionen, gelang Mariano dann das, was nur den ganz Großen gelingt, den vollständigen Kontakt zum wie hypnotisiert zuhörenden Publikum herzustellen, den mysteriösen „erfüllten Augenblick“ herauf zu beschwören. Unter die wohlige Schauer hervorrufende fernöstliche Melodie von den „Tautropfen“, so die freie Übersetzung des Titels, legte Dieter Ilg eine der schönsten Ostinatofiguren der Musikgeschichte, quasi ein „lebendes Ostinato“, das sich in Nuancen fortentwickelte und so die Spannung bis zum Ende hielt. Zu den weiteren Highlights zählten etwa „Lazy Date“, ebenfalls von Mariano oder Ilgs „Vajra“, was jedoch die weiteren Kompositionen durchaus nicht abwerten soll.

Zwei Zugaben rundeten ein faszinierendes Erlebnis ab. Wohl dem, der später einmal sagen kann „Ich bin dabei gewesen“ bei jenem legendären Konzertereignis im Biberacher Jazzkeller.

Gez. Dr. H. Schönecker

22.11.2002: Peter Lehel Quartett 

Peter Lehel Quartett am 24. November 2002 im Biberacher Jazzkeller

Entzückender Schön-Jazz mit Tiefenwirkung

Vom ersten rauchigen Saxophonton an zeigte der mehrfach preisgekrönte Peter Lehel im Biberacher Jazzkeller mit seinem Quartett die Klasse, die Kenner der Jazzszene von ihm gewohnt sind und schätzen. In zumeist balladesken Eigenkompositionen, die schönsten davon seiner ungarischen Herkunft verpflichtet, entwickelte der Karlsruher Peter Lehel in beseelten warmen Tönen seine Genre-Kompositionen mit je eigenem Stimmungsgehalt und Profil.

In innigem Miteinander vor allem mit dem ausgezeichneten Pianisten Uli Möck, gefühlvoll getragen von Mini Schulz am Kontrabass und rhythmisch gestützt von Dieter Schumacher am Schlagzeug, musizierte der gerade von einer China-Tournee zurückgekehrte Lehel eindrucksvoll und ausdrucksstark.

Seine koreanischen Impressionen bilden ebenso wie die tief empfundenen ungarischen Musiknummern Highlights in einem insgesamt exquisiten Programm. Dass Lehel damit jedoch nicht nur inhaltsarme Mode-Klischees folkloristischen Kolorits bediente war etwa in der niveauvollen Parodie eines ungarischen Csardas sinnfällig nachzuvollziehen. Ob das gefühlvolle „Schluchzen“ imaginärer Geigen im „Zigeunermoll“, charakteristische Tempomanipulationen wie das finale Accellerando, die ostinaten Quint-Wechsel-Bässe oder andere folkloristische Floskeln, alles wurde nur soweit überzeichnet, dass einerseits die Würde der Vorlage gewahrt blieb, andererseits aber der künstlerisch eigenständige Zugriff und die persönliche Integrität der Interpreten außer Zweifel stand. Gerade hierin zeigte sich die wahre künstlerische Größe, die ein Sujet schon dadurch erhöht und adelt, dass sie dieses aufgreift. Der kosmopolitisch, multikulturelle Ansatz von Lehel findet seine ästhetische Einbindung in einer überaus offenen Perspektive des Jazz als kommunikativem Prozess. Improvisationen stehen hier nicht für einen darstellerischen Selbstzweck narzisstischer Egomanen, sie sind  originäre rhetorische Ausdrucksformen und als solche eben auch in dialogische Interaktionen eingebunden. Was hier an anspruchsvoller musikalischer Unterhaltung, besonders zwischen Peter Lehel und Uli Möck, im Stile jazztypischer Dialogimprovisationen stattfand, gehörte zum Feinsten, was in letzter Zeit in Biberach zu hören war. Schade nur, dass lediglich eine kleine Schar von sachverständigen Jazzfans den Weg in den Jazzkeller fanden. So blieb einmal mehr eine vorzügliche Werbung für den Jazz als zeitgemäße – oder gar zeitlose (?) – Musiksprache in ihrem hermeneutischen Insider-Zirkel gefangen.

Von Dr. Helmut Schönecker