Archiv – Seite 110 – Jazzclub Biberach e.V.

18.10.2003: Andor’s Jazzband 

Andor’s Jazzband in der Theaterkneipe „Applaus“

Gepflegt, Gediegen, Gelungen!

Der Biberacher Jazzclub hatte mit seiner jüngsten Bandverpflichtung den musikalischen Weg zurück zu den Anfängen gewählt. Traditional Jazz von seiner gepflegtesten Seite, dargeboten von der niederländischen Formation „Andor’s Jazzband“ in der Theaterkneipe „Applaus“ versetzte das Publikum zurück in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Neun würdevolle ältere Herren mit Fliege, schwarzem Anzug und Lackschuhen machten sich, nicht ohne einen Schuss Selbstironie, auf der kleinen Bühne pünktlich ans Werk. Mit souveräner Professionalität und wenigstens in den ersten beiden Sets auch mit gedrosselter Leistung gingen die Musiker ihren Job an. Informative Moderationen durch den ansonsten unauffällig am Piano agierenden Bandleader unterbrachen den unterhaltsamen Fluss der gediegenen Salon-Musik. Die gewählten Titel legten Zeugnis ab von dem Bemühen der Holländer, die ausgetretenen Pfade der Wiederholung des immer Gleichen zu verlassen und eben gerade nicht den Tiger Rag, Ice Cream oder den Basin Street Blues als profane Stimmungsmacher einzusetzen.

In subtilen Arrangements eher unbekannter Stücke, eine gewisse Vorliebe für den jungen Duke Ellington war nicht zu überhören, kam der historische Wechsel von der, nur mit drei Melodieinstrumenten besetzten New Orleans Combo zu den Bigbands der 30er Jahre exemplarisch zum Ausdruck. Den fünf Multi-Instrumentalisten der Frontline: Klarinetten, Saxophonen, Trompeten und Posaune, gelang es in immer wieder neuen Konstellationen das saubere Satzspiel der Bigband-Ära mit den improvisatorischen Freiheiten der Frühzeit zu verbinden. Dabei spielten der Tenor- und Es-Altsaxophonist jeweils auch Klarinette, das zweite Altsaxophon ertönte im Wechsel mit Klarinette oder gar Trompete (!), Trompete und Posaune ergänzten den variablen Bläsersatz, der mitunter gar geschlossen auf Sopranino-Blockflöten wechselte. Klanglich wohl am eindrucksvollsten trat der dreistimmige Klarinettensatz in Erscheinung. In sauberer Intonation traten vor allem in mittlerer und hoher Lage, für den originären Jazz nicht unbedingt typische,  dabei jedoch harmonisch besonders wohlklingende Partien in Erscheinung, die dem Ganzen einen sehr edlen Charakter verliehen.

Im dritten Set drehten die Herren dann richtig auf. Mit dem legendären „Sing, Sing, Sing“ von Benny Goodman trat der polnische Schlagzeuger der Band in die Fußstapfen von Gene Krupa. Sein 10minütiges Schlagzeugsolo lockte das Publikum aus der Reserve und animierte das Publikum zu stürmischem Applaus. Kurzweilig verging der Rest des Abends bis kurz vor zwölf, nicht ohne eine herbeigeklatschte Zugabe, der unterhaltsame Jazzabend zu Ende ging.

19.09.2003: NuNu! 

Launiges Konzert zwischen Klezmer und Weltmusik

NUNU! – Skurrile transsilvanische Waldgeister im Biberacher Unterholz

NUNU erneut im Biberacher Jazzkeller! Wer den vielumjubelten ersten Biberacher Auftritt der Münchner Klezmertruppe vor einigen Jahren miterlebt hat, der wusste noch, was das bedeutet: heftig strapazierte Lachmuskeln bei verblüffenden Nonsens-Dialogen mit leeren Sprachhülsen, überschäumende Affekte pur in freier stilistischer Anlehnung an den amerikanischen Scatgesang, überzeugende und beeindruckende Mimik und Gestik, kurzweilige komödiantische Unterhaltung mit einer brillanten Performance, musikalische Genrestücke in jiddischer, balkanischer, südosteuropäischer Tradition, skurrile musikalische Parodien und Karikaturen zuhauf, eine musikalische Melange irgendwo zwischen Klezmer und Weltmusik.

Die Erwartungen wurden denn auch nicht enttäuscht. Das jeweilige Idiom der dargestellten Genres wurde treffsicher erfasst. Viele Stücke hatten in alter Klezmertradition eine intensive melancholische Ausstrahlung und intimen Charakter. In besonders inspirierten Nummern, etwa in dem skurrilen „Lied von den transsilvanischen Waldgeistern“, stimmte alles zusammen. Da zirpte, röchelte, stöhnte und ächzte alles was auf der Bühne stand. Scharrende, schabende, pochende Geräusche von Marika Falk an diversen Trommeln, undefinierbare elektronische Spezialeffekte des Überlinger Gitarristen Uli Graner und die unnachahmlichen akustischen Emanationen des virtuosen Passauer Posaunisten, Tubisten und Stimmakrobaten Leo Gmelch erzeugten eine Gruselstimmung, die jeder Geisterbahn Ehre gemacht hätte. Leadsänger Willi Jakob lieferte den beseelenden Gesangspart und stand Leo Gmelch als Dialogpartner zur Verfügung.

Den Jazzfans unter den zahlreichen Besuchern wurde jedoch leider – trotz einem in Chicago geborenen Saxophonisten und Klarinettisten, der als Ersatz für den langjährigen Violinisten Mic Oechsner antrat – keine ernstzunehmende Jazz-Improvisationen geboten, wie überhaupt die Jazzeinflüsse erstaunlich nebensächlich wirkten. Gegenüber der außergewöhnlich vitalen und expressiven Musik der Anfangsjahre, die ein außerordentlich hohes innovatives Potential aufwies und große Experimentierfreude bezeugte, gab es heuer leider wenig Neues, kaum Tiefschürfendes. Der unzweifelhaft hohe Unterhaltungswert von NUNU ließ sich offenbar mit einem gewissen Kunstanspruch über die Jahre hinweg nicht immer leicht versöhnen. Dieser Versuch in Permanenz öffnet jedoch die Pforten zu wahrhaft bedeutender Musik.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker

21.02.2003: Boogaloo 

Der Jazzclub präsentierte: Boogaloo mit Crime Jazz

„Kriminelle“ Umtriebe in der Theaterkneipe

Im Chicagoer Gangster-Outfit, mit gefährlichen Blicken aus den Augenwinkeln, mit furchteinflößenden Reden und markerschütternden „Todesschreien“, mit Blaulicht auf der Hammond-Orgel, Pistolenschüssen vom Band und anderen Ingredienzien inszenierte die Revolverlady Ruth Görig mit ihren vier Männern einen recht unterhaltsamen, dabei mäßig spannenden Clubabend in der gut besetzten Biberacher Theaterkneipe „Applaus“. Woran es letztlich lag, dass der Funke lange Zeit nicht so richtig überspringen wollte, ist schwer zu sagen. An der fehlenden Animation durch die Frontfrau am rotzig-frech klingenden Tenorsaxophon lag es sicherlich nicht. Wilde Saxophon-Improvisationen, Tanz- und Gesangseinlagen, launige Moderation der einzelnen Titel, gar einer Solo-Polonaise durchs Publikum und wiederholten Aufforderungen sich klatschender Weise oder gar chorisch zu engagieren lockten das Publikum nur kurzzeitig aus der Reserve. Blueslastige, teilweise brillante solistische Einlagen des ausgebufften, mit allen musikalischen Wassern gewaschenen britischen Hammond-Orglers, Martin Johnson, des temperamentvoll groovenden sizilianischen „Abkömmlings eines Mafiabosses“ am rudimentären Schlagzeug, Christoph Sabadino oder auch des agilen Kontrabassisten Christoph Sauer boten durchaus Anlass zum intensiveren Hinhören. Den sachdienlich agierenden Thomas Kraus an der E-Gitarre ließ das alles gangstertypisch völlig cool.

Die Wahl der Musikstücke, meist mehr oder weniger bekannte Film- oder Schlagermelodien  mit entsprechendem Potential an kriminell-gefährlichen Assoziationen, stimulierenden Tremoli, chromatisch durchsetzten dramatischen Motiven, schwer lastenden Mollakkorden, straffen Tango- oder Boogaloo-Rhythmen in geradtaktigen Metren und sphärischen Klängen erschien für die gewählte Programmatik ebenfalls gelungen. Erinnerungen an Jack the Ripper, Miss Marple, Kommissar Maigret, James Bond, Tatort- und andere Krimihelden sind aber vielleicht auch mit gemütlichen Fernsehabenden, mit Bier, Chips und hochgelegten Beinen verbunden und lösen beim Zuhörer somit auch entsprechende Reaktionen aus. Die enge Rollendefinition der Musiker sowie die damit verbundene etwas einseitige Ausdruckswelt schien ein Übriges dazu beizutragen: ein zu einseitiges Nischen-Programm kann, Marktlücke hin oder her,  auch fesseln und knebeln.

Mit feinem Gespür hat die Boogaloo-Chefin Ruth Görig dies bei all ihren kriminellen Machenschaften wohl auch registriert. Mit der tapfer erklatschten Zugabe wollte sie denn auch die kriminelle, fernseh-unterhaltungslastige Sphäre ihres Programms bewusst verlassen und den braven Zuhörern noch etwas Liebe mit auf den Nachhauseweg geben. Befreites Aufatmen signalisierte: Wohl getan.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker