Charlie Mariano und Dieter Ilg im ausverkauften Jazzkeller
Musikalische Tautropfen auf verzücktem Publikum
„Wände aus Gummi“ wären vonnöten gewesen um allen Jazzbegeisterten den Zutritt in den randvollen Biberacher Jazzkeller zu ermöglichen. Zwei große Jazzmusiker, Charlie Mariano und Dieter Ilg, hatten auf Einladung des Biberacher Jazzclubs den in diesem Ausmaß noch nicht da gewesenen Run in den Biberacher Jazz-Musentempel ausgelöst, und, soviel gleich vorweg, die hochgesteckten Erwartungen wurden mehr als erfüllt.
In einer schon symbiotisch zu nennenden Beziehung zwischen dem junggebliebenen Altstar am Saxophon und dem hochsensiblen, seit Jahren mit Biberach verbundenen Kontrabassisten wurzelte ein außergewöhnliches Konzerterlebnis. Der fast 80jährige Mariano scheint einem ästhetischen Höhepunkt zuzustreben, willens und in der Lage die Summe aus einem reichen Musikerleben zu ziehen, gefeatured von einem kongenialen „Begleiter“, der gleichsam die musikalischen Gedanken der lebenden Legende lesen und sogar vorausahnen kann. Ilg motivierte, inszenierte, feuerte an. Ilg hatte aber auch Sinn fürs Aphoristische, für knappe Andeutungen, dezente Impulse. Beseelte Ostinatofiguren, minimalistisch oder mit reicher harmonischer Binnenstruktur, legten den Grund für die solistischen Höhenflüge des Altmeisters. Dessen tief empfundene und dabei hoch expressive Melodien kamen in einer Eindringlichkeit und Intimität, der sich niemand entziehen konnte, ohne jede Verstärkung aus der Mitte des Publikums, das sich aus Platzmangel auch noch auf der Bühne niedergelassen hatte.
Bereits die ersten Töne des Jazzstandards „All the things you are“ ließen die Zuhörer in eine überirdisch anmutende Klangwelt, einen Kosmos an Klangfarben eintauchen, die vom zart gehauchten, unterkühlten Pianissimo-Klang, über zupackend kraftvolle Saxophontöne bis zum ekstatischen „Knarren rostiger Scharniere“ reichte. Die transzendente Welt der Flageolett-Töne eröffnete die seltenen Dimensionen spirituellen Ausdrucks, die in Verzückung versetzen kann. In „Tsuyu“, einer seiner Lieblingskompositionen, gelang Mariano dann das, was nur den ganz Großen gelingt, den vollständigen Kontakt zum wie hypnotisiert zuhörenden Publikum herzustellen, den mysteriösen „erfüllten Augenblick“ herauf zu beschwören. Unter die wohlige Schauer hervorrufende fernöstliche Melodie von den „Tautropfen“, so die freie Übersetzung des Titels, legte Dieter Ilg eine der schönsten Ostinatofiguren der Musikgeschichte, quasi ein „lebendes Ostinato“, das sich in Nuancen fortentwickelte und so die Spannung bis zum Ende hielt. Zu den weiteren Highlights zählten etwa „Lazy Date“, ebenfalls von Mariano oder Ilgs „Vajra“, was jedoch die weiteren Kompositionen durchaus nicht abwerten soll.
Zwei Zugaben rundeten ein faszinierendes Erlebnis ab. Wohl dem, der später einmal sagen kann „Ich bin dabei gewesen“ bei jenem legendären Konzertereignis im Biberacher Jazzkeller.
Gez. Dr. H. Schönecker