Stuttgarter Jazzchor gibt eine Lehrstunde für den Chorgesang
Hohe Chorkultur im jazzigen Untergrund
BIBERACH – Mit einem repräsentativen Querschnitt aus seinem Fünf-Stunden-Repertoire hat sich der „Jazzchor Stuttgart“ unter seiner Chorleiterin Christiane Holzenbecher am Freitagabend im nahezu ausverkauften Jazzkeller einem begeisterten Biberacher Publikum vorgestellt. Mehrere Zugaben, darunter der immer noch witzige „Hafer- und Bananen-Blues“ aus der legendären SDR-Ära vom „Äffle & Pferdle“ und, für ein Jazzkonzert durchaus ungewöhnliche, stehende Ovationen, waren untrügliche Zeichen für einen rundum gelungenen Jazz-Chorabend im Oberland.
Die sechzehn Chorsängerinnen und Sänger, darunter mit Gerhard Ruf auch ein ehemaliger Biberacher, zeigten sich, trotz akustisch recht schwieriger Bedingungen für A-Cappella-Chorgesang, hochmotiviert, mit zunehmend fortschreitendem Abend auch selbst sichtlich begeistert und durch die enthusiastischen Publikumsreaktionen zu Höchstleistungen inspiriert. Die stilistische Bandbreite für einen Jazzchor war außerordentlich. Von Renaissance- bis zu Rock- und HipHop-Titeln, mit Beat-Boxing-Untergrund und diversen Soloeinlagen, teils mit eigenen gerappten Texten auf Deutsch und Englisch, war für jeden Geschmack etwas geboten. Selbst vorweihnachtliches und weihnachtliches Liedgut durfte nicht fehlen. Besonders eindrucksvoll gelang, neben dem „Christmas Love Song“ von „Manhattan Transfer“ ein Xmas-Carol, das Andrea Figallo, ein langjähriges Mitglied der britischen A-Cappella-Formation „Flying Pickets“ (und demnächst bei den „Wise Guys“) auf einem Chor-Workshop für den Stuttgarter Chor eigens komponiert und einstudiert hatte.
Wöchentliche Proben, mehrere Chorwochenenden und Workshops mit renommierten Dozenten, unter anderem auch mit Mitgliedern von „Manhattan Transfer“, den „King’s Singers“ oder den „Flying Pickets“, bilden beim Jazzchor Stuttgart die Basis für ein hochkarätiges, selbstverständlich komplett auswendig dargebotenes Programm, das zumindest in Biberach nicht nur eingefleischten und durchaus zahlreich im Publikum vertretenen Choristen großen Respekt abnötigte. Besonders temperamentvoll gelangen die Stücke, die teils experimentell die gewohnte Chorformation aufbrachen und in alternierenden Gruppierungen rappten, beat-boxten und in wechselnder Kostümierung theatralisch gestikulierten.
Selbstverständlich durften auch die typischen Jazznummern nicht fehlen. „Tuxedo Junction“, „Take Five“ oder der Stevie Wonder Hit „Sir Duke“ ließen auch die Jazzfans auf ihre Kosten kommen. Wohlige Schauer verursachten jedoch besonders die leisen Töne. Sauber intonierte Jazzharmonien im Pianissimo sind ein Stilmittel, das in dieser Qualität und Intensität nur von bestens aufeinander eingespielten Chören zu bewältigen ist. In einer so transparenten und schonungslos direkten Akustik wie im proppenvollen Jazzkeller, kann diese Leistung, die noch dazu ohne Einsatz technischer Hilfsmittel erfolgte, gar nicht genug gewürdigt werden. Neben dem Ohrenschmaus fürs Publikum lieferte der Jazzchor Stuttgart hier auch eine Lehrstunde für den Chorgesang ab.
gez. Dr. Helmut Schönecker