Gee Hye Lee und „five a.m.“ im Biberacher Jazzkeller
Von der Muse geküsst – Leise Töne für stille Genießer
Die koreanische Jazz-Pianistin Gee Hye Lee erwies sich bei ihrem Konzert im Biberacher Jazzkeller vergangenen Freitag vor allem als eine Meisterin der leisen Töne. Im gut besetzten Auditorium fand die Wahl-Stuttgarterin mit ihren feinsinnigen, intimen Eigenkompositionen, einigen ausgesuchten Pat-Matheny- oder Bob Marley-Titeln sowie einer ganzen Reihe von Kompositionen aus der Feder des sehr einfühlsam agierenden Kontrabassisten Markus Bodenseh ein überwiegend still genießendes Publikum.
Die Betulichkeit eines englischen Lords im reiferen Alter, der auf die Sekunde pünktlich seinen 5-Uhr-Tee zelebriert, dabei stillen Genuss und kontemplative Reflexion des Tagesgeschehens verbindet, fand sich trotz anderer Tageszeit im Habitus der Formation „five a.m.“ ebenso wieder, wie auf der anderen Seite die sprichwörtliche Zurückhaltung des oberschwäbischen Konzertpublikums – so Gee Hye Lee in ihrer freundlich-spartanischen Moderation. Und wie in absichtsvoll zurück genommener Relaxtheit Ekkehard Rössles Tenor- und vor allem Sopransaxophon den Duft einer gerade aufgehenden Lotus-Blüte atmete, gelang es dem in Köln lebenden französischen Schlagzeuger Antoine Fillon der Musik des Quartetts einen dezenten und differenzierten Groove einzuhauchen. Wenn es nicht etwas aus der Mode gekommen wäre, müsste man der empfindsamen, nach innen gewendeten Musik Gee Hye Lees das Prädikat „innig“ zuerkennen. Auf jeden Fall aber beansprucht das künstlerische Konzept Gee Hye Lees eine Eigenschaft, die unserer schnelllebigen Zeit auf weite Strecken abhanden gekommen zu sein scheint: die Fähigkeit zur Muse.
Ob in manchen fulminant-virtuosen Klavierpassagen Gee Hye Lees, den vereinzelt aufblitzenden exzessiveren Aufwallungen Ekkehard Rössles oder in den seltenen Aufloderungen der bis auf die energiegeladene Zugabe und gelegentliche Soloeinlagen zurückhaltend zweckdienlichen Begleiter Antoine Fillon und Markus Bodenseh, allen Akteuren war die vollständige Kontrolle ihrer vielfältigen ästhetischen Ausdrucksmittel zugunsten der gemeinsamen Sache anzumerken. Und das Resultat war tatsächlich eine homogene Gesamtleistung die aus mehr bestand, als die Summe ihrer Teile hätte vermuten lassen. Gelegentliche Anfeuerungsrufe ließen keine ekstatische, aber doch gehobene Stimmung aufkommen, die nach der artig herbei geklatschten Zugabe sich vor allem darin äußerte, dass viele Gäste nach dem Konzert noch sitzen blieben, CDs der Künstlerin erstanden oder auch das persönliche Gespräch suchten. Gee Hye Lee hat in Biberach wohl einige neue Fans gefunden.
Dr. Helmut Schönecker
Schwäbische Zeitung, 2. Mai 2007