„Fortunas Lächeln“ begeistert Biberacher Jazzfans
Erlesene Permutationen, vielschichtig kreisend, auf mehreren Ebenen im Austausch und in wechselnder Kombination unterschiedlichen Zielen zustrebend, bot auf Einladung des Jazzclubs Christof Stiefels gefeiertes „Inner Language Trio“ aus der Schweiz einem hell begeisterten Publikum im Biberacher Jazzkeller.
Rhythmisch gleiche mit melodisch gleichen Teilen (Talea und Color) unterschiedlicher Länge werden in der Isorhythmik so kombiniert, dass sich die Phasen überschneiden und sich gegeneinander verschoben (z.B. drei Taleae mit zwei Colores) periodisch wiederholen. Diese in der Motettenkomposition des Spätmittelalters weit verbreitete Technik auf den Jazz übertragen zu haben, darf ohne Zweifel dem Züricher Pianisten Christof Stiefel zugestanden werden, der den Konzertabend auch fast ausschließlich mit isorhythmischen Kompositionen seiner letzten CD „Fortuna’s Smile“ bestritt. Auch wenn bei den seriellen Komponisten des 20. Jahrhunderts oder in der Abteilung „Minimal Music“ additive Reihungen und isorhythmische Schichtungen in vielerlei Formen zu finden sind, hatte diese eher pejorativ-schematische Kompositionstechnik im Jazz bislang nicht Fuß fassen können. Dem kreativen Prozess eine rationale Grundlage zu geben, ist im Jazz hingegen von Anfang an eine konstituierende Grundlage gewesen. Die Harmonieschemata als harmonisch-formale Rahmen mit tonalem oder modalem Bezug werden seit nunmehr über einem Jahrhundert mehr oder weniger kreativ jazztypisch ausgestaltet, ohne grundsätzlich in Frage gestellt zu werden, der Free Jazz blieb eine Episode ohne nennenswerte Folgen. Von außen inspirierte Einfälle, akkord- und skalenbezogene Improvisationsschulen, Tanzrhythmen oder Stilmixturen dominieren bis heute das musikalisch-improvisatorische Geschehen. Das essentiell Neue ist immer schwieriger aufzuspüren, der Mainstream verschlingt alles.
Genau hier setzt das quasi revolutionäre Konzept von Christof Stiefel an. Die Wurzeln einer sich zunehmend vom Wort lösenden Rhythmik in der spätmittelalterlichen isorhythmischen Motette bieten ihm einen interessanten Anknüpfungspunkt für sein intelligentes Spiel mit der Kombination rhythmischer und melodischer Modelle, die ungewöhnliche Zusammenklänge zum Ergebnis und eben nicht als Ausgangsbasis haben. Das klangliche Resultat, hochkonzentriert und virtuos dargeboten, ließ das faszinierte Publikum, welches intuitiv das unerhört innovative Konzept Stiefels zu erfassen schien, in wahre Begeisterungsstürme ausbrechen und am Ende mehrere Zugaben herbei klatschen. Die komplexe Konstruktion und Kombination in den Stücken führte verblüffender weise nicht zu sperrigen Gebilden für das Studierzimmer. Unterhaltsam, abwechslungsreich, spannend, zwischen filigraner Transparenz und hochkomplex verdichteten, oft bis ins Ekstatische gesteigerten Passagen wechselnd, ließ das Trio mit dem satt groovenden Thomas Lähns am Bass und dem energiegeladenen Lionel Friedli am Schlagzeug keine Wünsche offen.
Lebendige Kammermusik und Jazz sind für dieses „Inner Language Trio“ mit seiner ureigenen Musiksprache ebenso wenig Gegensätze wie Verstand und Gefühl. In diesem Sinne ist der ästhetische Zugriff Stiefels klassisch zu nennen und wie bei den Neoklassizisten um Strawinsky findet auch er das Neue nicht durch ängstliches Bewahren oder völlige Ablehnung des Alten sondern durch lebendige Auseinandersetzung mit und Fortentwicklung der Tradition. Die praktische Umsetzung dieser Ideen in einer Live-Performance stellt höchste Anforderungen an die Musiker des Trios, welche eine an afrikanische Rhythmen erinnernde Vielschichtigkeit mit der melodischen Vielschichtigkeit und Komplexität europäischer Polyphonie verbindet und mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks zusammenhält. Durchaus keine leichte Kost aber mit großer Überzeugungskraft und absoluter Glaubwürdigkeit technisch perfekt serviert, wirkte „Fortuna’s Lächeln“ stimulierend, inspirierend und vor allem rundum begeisternd. Von diesem Stiefel bitte mehr.