22.06.2007: Blue Honky Tonk – Jazzclub Biberach e.V.

22.06.2007: Blue Honky Tonk

Süddeutschlandpremiere: Blue Honky Tonk mit Überraschungsgast im Jazzkeller

Unverbrauchter Cross-Over Boogie-Woogie aus dem Wilden Osten

„Schnee von gestern“, dürfte die vorherrschende Aussage zahlreicher Boogie-Woogie Gegner gelautet haben. Diese sind dann allerdings auch gar nicht erst beim Konzert mit „Blue Honky Tonk“ aus Dresden im Biberacher Jazzkeller erschienen. Wer jedoch dabei war, weiß es jetzt besser: Es gibt einen direkten Weg von den 1920er Jahren in unsere Zeit und er heißt „Blue Honky Tonk“.

Dass die Liebe Grenzen überwindet ist eine alte Weisheit. Dass die Liebe zur Musik auch unvereinbar scheinende musikalische Gegensätze verbinden und selbst aus den abenteuerlichsten Stilkombinationen noch neue Kräfte schöpfen kann, nachdem doch ganze Heerscharen  von Sinn suchenden Musikern den leergefegten Markt schon unzählige Male abgegrast haben, ist zumindest überraschend.

Die agilen Jungs aus dem Osten mit ihrem Überraschungsgast, einer musikalisch wie optisch reizvollen jungen Dame namens Manuela Kre?ek, die unverkennbar den Blues in ihren Genen trug, boten einen unverfälschten Zugang zur längst überholt geglaubten Tradition der goldenen Zwanziger.

So weit, so tüchtig, so gewöhnlich. Genau dies tun schließlich seit über 80 Jahren viele andere, auch studierte und technisch brillante Musiker. Für eine gute Stimmung sorgt der pianistische Tanzblues in seinem überschaubaren Formenkanon allemal und staunende Bewunderung für das virtuose Tastengeklingel gibt es vom Publikum gratis.

Wenn es „Blue Honky Tonk“ mit Matthias Rethberg am Piano und Stephan Heisigs am Schlagzeug  dabei belassen hätte, wäre der erste Gig im Süden Deutschlands vielleicht auch schon der letzte gewesen. So aber darf man sicher sein, von dem neuen Gespann noch einiges zu hören. Die scheinbar beiläufige Integration eines Bach’schen Präludiums aus dem Wohltemperierten Klavier in eine unverschämt gut und souverän groovende Eigenkomposition des Pianisten und Bandleaders war eines der sinnfälligsten Beispiele der beherzt-offenen und ungeniert direkten Vorgehensweise des sympathischen Quasi-Trios. Unversehens in der Tradition eines „Jacques Loussier“, der mit seinem „Play Bach“ auch heute noch großen Anklang findet, blieb „Blue Honky Tonk“ auf dieser Stufe jedoch nicht stehen. Nicht das berühmte Original eines anderen mit ein paar eigenen Zutaten, eine neue, eigenständige Komposition lag hier vor, eine Komposition, die sich künstlerisch mit der Tradition auseinandersetzt und dabei ab und zu auch einige Versatzstücke an die Oberfläche spült, nur um diese sofort wieder in den aktuellen Gestaltungsprozess einzubringen. An anderer Stelle war es die Montage von traditionellen Boogie-Rhythmen á la Jelly Roll Morton mit modernen hiphop-artigen Drum-Grooves, die eine ästhetische Auseinandersetzung erzwang. Alles in allem wirkten die drei trotz vielstündiger Anreise erfreulich frisch und unverbraucht, sympathisch, offen, mitreißend und so durften sie auch nicht ohne die erhofften Zugaben von der Bühne herunter.

 

Gez. Dr. Helmut Schönecker