Frischer Wind in alten Sälen
LandesJugendJazzOrchester glänzt unter Thorsten Wollmann
BIBERACH – Zur Einstimmung in den Tag gab es für die Musikkurse des Pestalozzi-Gymnasiums bereits am frühen Vormittag einen Vortrag zur Jazzgeschichte und einen Basis-Workshop zu dessen harmonischen Grundlagen. Die Annäherung an die Geheimnisse von Improvisation und Arrangement erfolgte dann „in Riesenschritten“ mit John Coltranes „Giant Steps“ durch den diesjährigen Leiter des „LAJAZZO“, den ehemaligen PG-Schüler Thorsten Wollmann. Als Inhaber der Professur für Komposition/Arrangement sowie Bigband und Ensembleleitung am JIB, dem Jazzinstitut der Universität der Künste (UdK) in Berlin, animierte Wollmann die jungen Musikerinnen und Musiker des Auswahlorchesters während seiner gerade in Weikersheim beendeten Osterarbeitsphase beim Abendkonzert zu künstlerischen Höchstleistungen. Das vom Biberacher Jazzclub in Kooperation mit dem Pestalozzi-Gymnasium initiierte Konzert in der Aula der Gymnasien zog die musikalische Essenz aus dem seit zwei Jahren in ebendieser Besetzung als Bigband zusammenspielenden Orchester.
Die 22 jungen Musikerinnen und Musiker aus ganz Baden-Württemberg sind mittlerweile ganz offenkundig zu einem veritablen, semiprofessionellen Klangkörper zusammengewachsen. Präziser, knackiger Bigband-Sound, trotz akustisch schwieriger Räumlichkeit auch im Tutti optimal abgemischt, den teils atemberaubend virtuosen Solo-Improvisationen unterlegte, weiche, einfühlsame und stimulierende Begleitsätze, transparente Strukturen und überraschende Klangwechsel bei höchster rhythmischer Präzision ließen nichts anbrennen und die Herzen aller Bigbandfreunde merklich höherschlagen. Das hell begeisterte Publikum im gut aber leider doch nicht bis zum letzten Platz gefüllten Saal bedankte sich durch üppigen Zwischenapplaus sowie anfeuernde Rufe und Pfiffe bei den Solisten. Viele von ihnen dürften sich in den kommenden Jahren im Profilager wiederfinden.
Gleich vier Eigenkompositionen und vier Arrangements stammten aus der Feder des hochdekorierten Orchesterleiters, der in seiner Jugend ebenfalls in diesem Orchester spielte und den Landesjazzpreis erhielt. Besonders eindrucksvoll gerieten seine Version von Charlie Chaplins berühmtem Titel „Smile“ aus dem Film „Moderne Zeiten“, mit souliger Stimme einfühlsam interpretiert von Nora Bohra und, gemeinsam mit Vivien Zippert gesungen, die Wollmann’sche Jazzversion von J. S. Bachs berühmtem Choral „Jesus bleibet meine Freude“ (BWV 147). Das ungewöhnliche Arrangement bezauberte und ging buchstäblich unter die Haut. Es sorgte auch im neuen Gewand für einen Gänsehauteffekt und langanhaltenden Applaus. Ein weiteres Highlight war das „Japan Piece“ von Shiro Sagisu, effektvoll arrangiert und auf Japanisch gesungen von Vivien Zippert, die mehrere Jahre in Japan gelebt hat.
Neben den Kompositionen des Bandleaders waren es vor allem berühmte Standards aus der bald 100jährigen Jazzgeschichte, die das Programm prägten. „Hay Burner“ von Sammy Nestico, „Walking Tiptoe“ von Bert Joris oder „Willowcrest“ von Bob Florence, jeweils in den originalen Arrangements boten damit auch ausgezeichnetes pädagogisches Anschauungsmaterial und waren Basis für viele großartige Improvisationen. Von den Großen des Genres zu lernen, war wohl noch nie ein Nachteil. Aber auch Wollmanns Arrangement des James Bond Themas „Go, Go, Go Mr. Bond“, des berühmtem „Ol‘ Man River“ aus dem Musical „Showboat“ von Jerome Kern und Oskar Hammerstein oder die temperamentvolle R’n’B-Nummer „It’s Your Voodoo Working“ von Charles Sheffield ließen die Wogen der Begeisterung hochschlagen.
Als gelungene Überraschung darf auch die umjubelte Improvisationseinlage von Jochen Feucht gelten, der sich als renommierter Saxofonist und Komponist nicht nur deutschlandweit einen Namen gemacht hat und der ebenfalls in Biberach aufgewachsen ist. Als Dozent während der Arbeitstage in Weikersheim mit dem Saxofon-Satz befasst, fuhr er spontan zum Auftritt seiner Eleven in die alte Heimat. Dass er die Noten zu dem Stück erst eine halbe Stunde vor Konzertbeginn erhielt, dürfte niemandem aufgefallen sein. Neben der künstlerischen Inspiration, der hör- und sichtbaren Spielfreude der jungen Musikerinnen und Musiker dürfte auch der langanhaltende Schlussapplaus Lohn und Anerkennung für den anspruchsvollen „Nebenjob“ in deren Schul- oder Semesterferien gewesen sein.
Text und Fotos: Helmut Schönecker