Volles Haus beim Freitagskonzert des Jazzclubs
Modern Jazz und französische Musettewalzer aus der Pariser Käsestraße
BIBERACH – Eric Séva interpretierte mit seinem butterweich gespielten Tenorsaxophon im Jazzkeller vor einem begeisterten, teilweise sogar aus dem fernen Stuttgart angereisten, überwiegend frankophilen Publikum eingängige Jazzstandards und „Valse Musette“ mit starkem Jazzeinschlag. „Musette Neuve“, diesmal nicht zusammen mit ZAZ im „Nouvelle Chanson“, wie bei den letzten Stuttgarter „Jazz Open“ sondern mit Serge Merlaud, einem der interessantesten französischen Jazzgitarristen unserer Zeit. Sein sanfter Gibson-Sound unter Vermeidung klanglicher und dynamischer Extreme verband sich mit dem warmen Saxophonklang zu einem gediegenen, entspannten Wellness-Event mit ausgedehnten „Traumsequenzen“.
Besinnliche Balladen und beliebte Standards wie “Night and Day”, “Caravan”, „Softly as in a morning sunrise” oder dem fast schon romantischen Bossa Nova “Black Orpheus” verschmolzen zu einer subtilen Stilmischung mit heilkräftiger Wirkung. Wirkten die Stücke des Duos nach außen glatt poliert und eher beiläufig daher gespielt, entspannen sich im Inneren mitunter amüsante Dialoge und Kontrapunkte. Begleitete die Gitarre in rhythmisch gefassten Patterns ließ Séva am samtig-rauchigen Saxophon die Zügel zu ausgedehnten virtuosen Improvisationen schießen, benötigte Séva eine gelegentliche Erholungspause wieselte Merlaud solistisch über die blankpolierten Saiten. Am Schönsten und Spontansten waren jedoch gelegentlich eingestreute, eher rhetorisch strukturierte Teile. Dialogisch in kurzen Frage-Antwort-Spielchen oder kontrapunktisch in freier Polyphonie innerhalb der vorgegebenen harmonischen Changes unterhielten sich die beiden Künstler musikalisch über Gott und die Welt.
Bei manchen, vielleicht noch von einer übervollen Arbeitswoche gezeichneten Gästen schien die Kontemplation allerdings mitunter etwas weit zu gehen. Gelegentliche Schmatzer und Schnalzer ins Saxophonmundstück oder unvermittelte Fortissimo-Passagen holten abtauchende Kinnspitzen zum Amüsement der hellwachen Zuhörer oft gerade noch rechtzeitig in die Gegenwart zurück. Und so boten die lebenserfahrenen Franzosen schließlich beides. Eine entspannte Wohlfühlatmosphäre mit einprägsamen Melodien über einem gemäßigt modernen harmonischen Unterbau und hoher Wegtauchgefahr und andererseits mal witzige, mal tiefsinnige, mal kammermusikalisch durchwirkte und mal rhythmisch zupackende Strukturen in oft hochvirtuosen Solo- und Dialogimprovisationen, die höchste Aufmerksamkeit beim Zuhörer verlangten.
In Anspielung auf die Herkunft des väterlichen Tanzmusikers aus der „Rue de Fromage“ in Paris geriet der gleichnamige Musettewalzer von Eric Séva zu einem der stimmungsvollsten Stücke des Abends. Anhaltender Beifall und eine trotz später Stunde gern gegebene Zugabe waren der Schlusspunkt hinter einem unterhaltsamen, heiter-besinnlichen, für manche auch romantisch-verträumten, auf jeden Fall aber sehr französischen Konzertabend.
gez. H. Schönecker