M.E.A.N – Mit Siebenmeilenstiefeln ab durch die Mitte
Gediegenes Chaos als musikalische Frischzellenkur
BIBERACH – Mut zum Andersartigen fehlte der rotzfrechen Formation M.E.A.N aus dem Wilden Osten bestimmt nicht. Und den Mut zum Risiko scheuten die vier ebenfalls nicht auf ihrem Parforceritt durch die stilistische Mannigfaltigkeit zeitgenössischer Musik beim Freitagskonzert des Jazzclubs. Zwischen virtuosen Rock-Improvisationen voll ekstatischer Wildheit auf verzerrter Stratocaster-E-Gitarre und tropischen Wirbelstürmen der höchsten Kategorie auf dem leidenschaftlich traktierten Schlagzeug vermittelten filigrane und intelligente Jazz-Patterns vom Kontrabass und lyrisch-kontemplative Trompetentöne gleichermaßen. Kompromisse gab es nur, wenn das Ganze aus den Fugen zu geraten drohte. Das Publikum zeigte sich von dem Farbenreichtum und der breiten Ausdruckspalette der vitalen aber stilistisch nur schwer zu fassenden Musik entzückt und begeistert.
Ein regelrechtes Wechselbad der Gefühle verabreichten die vor ungebremster Spielfreude sprühenden Musiker ihren alten und neuen Fans. Der bayrische Trompeter Martin Auer war bei seinem dritten Auftritt in Biberach beileibe kein Unbekannter mehr. Mit seinem eigenen Quintett und dem Gewinner des Biberacher Jazzpreises Florian Trübsbach überzeugte er schon vor bald 20 Jahren seine oberschwäbischen Zuhörer. Die kompromisslos in der Gegenwart verwurzelte und dem permanenten Wandel verpflichtete Truppe mit ihrem leidenschaftlichen Zugriff auf kontrastierende Stiltendenzen scheute dabei auch nicht das Bekenntnis zu „Helden aus einer fernen Zeit“, so der Titel der ersten gemeinsamen CD von M.E.A.N aus dem Jahr 2013.
Tiefgründige Titel wie „Skin deep“ – der Komponist und Gitarrist Werner Neumann gestand in seiner Anmoderation, dass er bei der Komposition eigentlich eher daran dachte, dass die Nummer „unter die Haut geht“ und keinesfalls an die eigentliche Wortbedeutung „oberflächlich“ – wechselten mit wilden Husarenritten. So bildet „Skin deep“ in der Tat einen gewichtigen Widerpart zu den wilden und leidenschaftlichen, dabei aber immer hochinteressanten Eigenkompositionen irgendwo zwischen Hard- und Neobop, Funk, Latin, Punk, Rock, Ska und Third Stream angesiedelt. Jedes Stück atmete dabei in seiner Einzigartigkeit eine, zumindest auch beim Drummer sichtlich schweißtreibende Vitalität und Expressivität die beinahe greifbar den Raum füllte.
In einer geschickten Abfolge der einzelnen Musiknummern holten verhaltene, balladenhaft lyrische Stücke, wie etwa auch die Titelmelodie der jüngsten CD „Clara Park“ als Hommage an den idyllischen Leipziger Clara-Zetkin-Park mit dem berühmten Glashaus, die Hörer immer wieder aus der Ekstase zurück in stille Verzückung und bereiteten damit doch nur den Boden für neue Höhenflüge. Doch selbst in den lyrischen Passagen war die drängende Intensität und Eindringlichkeit, die auch im mittlerweile etwas gereiften Stil der Band noch zum Markenkern gehört, allzeit zu spüren. Ein emotionales Vakuum ließen die vier Musiker in keinem Moment zu und so setzte auch die Zugabe dem Ganzen noch die Krone auf und entließ zufriedene Gäste in die frische Herbstnacht.
Text und Fotos: H. Schönecker