BIBERACH – Kraftvolle Wesenheiten, Motive, wie aus Stein gemeißelt, kennzeichnen das Spiel des baden-württembergischen Jazzpreisträgers Alexander „Sandi“ Kuhn. Mit seinem Quartett war er angekündigt, ein auf mehreren Positionen umbesetztes Quintett überraschte schließlich die Gäste zum Saisonauftakt der Clubkonzerte 2014 des Jazzclubs im voll besetzten Jazzkeller.
Der als „Ersatzmann“ für den wegen einer Fingerverletzung ausgefallenen Gitarristen Syberen van Munster, angetretene Christoph Heckeler am Piano, wirkte konzentriert, mitunter auch angespannt, machte seine Sache aber durchaus ordentlich und brachte mehr als nur Farbe ins Geschehen. Dasselbe galt für den Überraschungsgast Nummer 2, die Stuttgarter Jazzsängerin Julia Ehninger.
Eine große Bandbreite kontrastierender Stilmittel spielte mit den Erwartungen des Publikums. So konnte es passieren, dass von der Backline ein klassischer Swing mit Walking Bass bereit gestellt wurde, während Bandleader und Komponist Alexander „Sandi“ Kuhn am Tenorsaxophon dazu stilistisch völlig kontrastierende Licks ablieferte. Mal völlig „straight“ oder auch rockig polarisierend, mal hintergründig parodierend und karikierend, mal eher witzig, dann wieder melancholisch verträumt, gelegentlich aber auch absichtsvoll in den Mainstream einscherend und damit dem „Affen Zucker gebend“ wurde seine Vielseitigkeit doch nie zur Beliebigkeit. Eher im Gegenteil. Kuhns Qualitäten in der Erfindung von Melodien ließen nichts beiläufig oder gar zufällig erscheinen. Nichts an seinen Tönen war flüchtig oder impressionistisch verwaschen, unscharf oder suchend, die eigentlich beabsichtigte Aussage unsicher umkreisend. Noch die kleinste Begleitfloskel hatte bei Kuhn zitierfähigen Charakter. Manche Improvisationen klangen in ihrer Entschiedenheit und Elaboriertheit so selbstverständlich, wie ausnotierte Kompositionen großer Meister. Hier sprach jemand in deutlichen, ja markigen Worten, völlig seiner selbst gewiss, absolut souverän von den fast alltäglichen Dingen des Lebens.
Titel von der neuen CD wie „Kraesa 1st“ oder „Sustainable Happyness“ spiegeln trotz ihrer Gegensätzlichkeit in gleichermaßen komplexen Strukturen die Besonderheiten des Alltäglichen. So, wie den guten Fotografen der besondere Blick auf die gewöhnlichen Dinge auszeichnet, der eben im Abbild des Normalen gerade das Gewöhnliche zum Besonderen erhebt oder gar zur Kunstform adelt, so gelingt Sandi Kuhn und seiner erlesen zusammengestellten Truppe das Ungewöhnliche: die ganz besondere Perspektive dicht neben dem Üblichen. Gerade aus dieser Nähe heraus, ergibt sich denn auch eine überzeugende, kraftvolle Kritik des nur oberflächlich Unterhaltsamen. Und manchmal eben auch der Blick auf das wirklich Besondere, das dann zum Außergewöhnlichen oder gar Herausragenden wird. Das ist hohe Kunst oder „Jazz at it’s best“.
Neben dem herausragenden Kontrabassisten Jens Loh und dem gut darauf eingespielten Schlagzeuger Daniel Mudrack „spielte“ besonders Julia Ehninger „am Gesang“ (so Moderator Kuhn) eine ungewöhnliche Rolle. Mit einer gefällig jazzigen, überaus wandelbaren und auch im dissonant kontrastierenden Umfeld völlig intonationssicheren Stimme ausgestattet, setzte sie diese im Bandkonzept als „Vox humana“ gleichsam instrumentaltypisch ein, „spielte“ im Unisono mit dem Saxophon oder setzte kontrapunktische Akzente in textloser „Vokalise“ dagegen.
Lediglich in der ersten Zugabe, dem durchaus ungewöhnlich und reizvoll arrangierten und gewissermaßen gegen den Strich gebürsteten „Girl from Ipanema“, durfte sie zeigen, dass sie nicht nur „Mit-Spieler“ ist, sondern ganz selbstverständlich auch den „klassischen“, gefälligen Jazzgesang beherrscht. Das zweite zugegebene Bonbon stammte ebenfalls aus der traditionellen Jazzliteratur, wurde im Duo von Saxophon und Kontrabass jedoch zu einem Charakterstück völlig neuen Zuschnitts.