Sebastian Studnitzky fasziniert und begeistert
Applaus-Dankeschön-Konzert lockt viele Gäste in den Jazzkeller
BIBERACH – Rekordverdächtige Besucherzahlen und stürmischer Applaus empfingen die in der Jazzszene ziemlich ungewöhnliche Besetzung aus Streichquintett, Klavier und Trompete um Sebastian Studnitzky im Jazzkeller, vom Jazzclub als Dankeschön für den Gewinn des deutschen Spielstättenprogrammpreises „Applaus“ ausgerichtet. Erste und zweite Violine, Bratsche, Cello und Kontrabass, eine in Jahrhunderten gereifte Besetzung mit der heute jedermann den Begriff Klassik verbindet, bildeten den fliegenden Klangteppich auf dem der Magier Studnitzky an den Tasten und Ventilen seine kreativen Ideen entfalteten konnte. Lebendig pulsierender harmonischer Wohlklang durchströmte den Veranstaltungsraum, in dem man eine Stecknadel hätte fallen hören. Die konzentrierte Aufmerksamkeit und die trockene Raumakustik forderten dabei den Musikern höchste Präzision und Disziplin ab.
Auch wenn Studnitzky kalauerte, im Jazz sei alles möglich und alles erlaubt und er diese Freiheit augenzwinkernd auch für sich und seine Improvisationen reklamierte, gelang es ihm in sympathischer Beiläufigkeit, gelegentlich auch etwas unterkühlt oder verspielt, seine Töne exakt so zu setzen, dass sie wie selbstverständlich wirkten und rundum überzeugten. Und auch wenn Studnitzky wiederholt die trockene Raumakustik monierte, die von den meisten Jazzern gerade geschätzt wird, hatte die resultierende Transparenz der Klänge doch auch ihr Gutes. War bereits die Reduktion auf ein Streichquartett eine Absage an den schwelgerischen selbstgenügsamen Wohlklang orchestraler Besetzungen, so verstärkte sich dieser Effekt im vollbesetzten Jazzkeller auf eine wohltuende kammermusikalische Durchsichtigkeit, die gerade in den kompositorisch dichteren Passagen den Nachvollzug erleichterte. Der mal gestrichene, meist aber gezupfte Kontrabass fungierte dabei als strukturelle Brücke zwischen dem freieren Jazzidiom und den klassisch auskomponierten strengeren Komponenten, je nach Bedarf schlug sich der wandlungsfähige Paul Kleber der einen oder anderen Seite zu.
Gerade die stilistische Wandlungsfähigkeit von Kleber, und natürlich auch diejenige des abwechselnd am Kawaiflügel oder an der jazztypisch verhaucht geblasenen Trompete waltenden Studnitzky selbst, war gewissermaßen das Scharnier zwischen den beiden Welten Klassik und Jazz. Ein auf einem harmonisch erweiterten und moderat modernisierten Unterbau basierender Streicherapparat, durchzogen von weiten Melodielinien (etwa im Titelsong „Memento“ aus dem gleichnamigen Album) oder wellenförmig schwingenden Figurationen (wie in „Waves“ ) bildete häufig Grundlage für die Soloimprovisationen der Jazzabteilung. Im Unterschied zu den heutzutage immer häufiger verwendeten Loopmaschinen groovten und pulsierten die vier jungen Damen des Streichquartetts in wohltuender Natürlichkeit. Dass eine nicht loopbasierte Begleitung wesentlich komplexer, differenzierter, dynamischer und lebendiger klingt und, gerade weil sie durchkomponiert ist, überdies künstlerisch anspruchsvoller und klanglich ansprechender ist, ja sogar melodische, homophone und polyphone Aufgaben übernehmen kann (wie in „Fugato“), wertet diese und damit auch das ganze Projekt erheblich auf.
Studnitzky wandelt mit dieser Fusion auf einem Pfad, der bereits vor einem halben Jahrhundert Brücken zwischen den verschiedenen Genres schlagen sollte. Die moderne Musik und der moderne Jazz, beides hochentwickelte und stark ausdifferenzierte Sphären, sollten zusammenwachsen. Plötzlich war echter symphonischer Jazz denkbar geworden, Charles Mingus Lebenstraum erwachte, Gunter Schuller oder das „Modern Jazz Quartet“ gingen mit anderen zusammen den „dritten Weg“, der leider bis heute ein Pfad geblieben ist. Der Beifall und die Begeisterung – immerhin gab es zwei Zugaben – scheinen Studnitzky Recht zu geben, diesen Pfad zu erweitern und darauf zu neuen Ufern zu gelangen. Dankeschön an Studnitzy und seine Truppe, Dankeschön an den Jazzclub für einen inspirierenden Konzertabend.
Text: H. Schönecker; Beitragsfoto: Wolfgang Volz; Galeriefotos: Helmut Schönecker