Gelungene Überraschung im Jazzkeller
Lorenz Kellhuber – Exerzitien statt B3 Power
BIBERACH – Der für das letzte Freitagskonzert des Jazzclubs vor der Sommerpause angekündigte Fusion-Mix aus Jazz und Rock von dem Quartett „B3“ aus Berlin musste krankheitsbedingt leider sehr kurzfristig abgesagt werden. Durch einen glücklichen Zufall war jedoch der mehrfach preisgekrönte Pianist Lorenz Kellhuber gerade in Süddeutschland unterwegs und konnte noch eine Station beim Biberacher Jazzclub einschieben. Und obwohl stilistisch völlig anders geartet, mussten auch diejenigen Gäste, welche die Programmänderung der Tagespresse nicht mehr entnehmen konnten, keine Enttäuschung hinnehmen.
Natürlich war der Sound ein völlig anderer. Und wer den prickelnden Klang der legendären Hammond B3 im rockigen Band-Ambiente erwartet hatte, musste seine Hörgewohnheiten kräftig umstellen. Dennoch war es nicht nur Lorenz Kellhubers als Zugabe dargebrachte, durch den „Rhythm & Blues“ der späten 60er inspirierte Ballade „Little Wing“ von Jimi Hendrix, die jene Fusion verschiedenster Stilelemente unter dem Übergriff „Jazz“ überzeugend vermitteln konnte.
Lorenz Kellhuber Solo heißt, nach Ansage des Künstlers, ihm auf teils verschlungenen, teils aber auch äußerst geradlinigen Pfaden, immer aus der Perspektive des Jazz, durch kreative Tastenwelten hindurch zu folgen und in ein schillerndes Universum mal komplexer, mal minimalistisch meditativer Strukturen einzutauchen. Ließ Kellhubers erster Titel ohne Namen, vom pianistischen Anspruch, von der Ausdehnung und von der formalen Anlage her durchaus mit dem Kopfsatz einer großen klassischen Sonate zu vergleichen, noch an pianistische Vorbilder wie den ebenfalls klassisch ausgebildeten Keith Jarrett denken, so führte der kontrastierende zweite Titel, gewissermaßen als zweiter Satz in eine vollkommen andere Welt.
Psychedelische Anklänge oder auch Inspirationen durch die „Minimal Music“ kennzeichneten einen durch einen kurzen harmonisch-melodisch gefälligen Rahmen eingefassten, schier endlos langen Mittelteil, der seinerseits auf einer vielhundertfach repetierten und dabei einer allmählichen Metamorphose unterworfenen Sekundfigur beruhte. Dieses Konstrukt führte entweder ins künstlerisch erfüllte Nirwana kontemplativer Vergeistigung oder aber bei ungeduldigen Zeitgenossen – wie manche suchende Blicke vielleicht suggerieren wollten – in die schiere Verzweiflung. Wer in größeren Zusammenhängen hörte, konnte die Repetitionsfigur jedoch als strukturelles Rückgrat begreifen, als Fels in einer Brandung aus synkopisch darunter und darüber gesetzten Akkordtürmen analog den elektronisch generierten Loops in zeitgenössischen HipHop- und Dance-Grooves. Für einen (Jazz-) Pianisten stellt dies eine echte Herausforderung dar, an der sich gleichwohl seit der barocken Passacaglia oder Chaconne in einer langen Tradition immer wieder die größten Meister virtuos-polyphoner Spieltechniken gemessen haben.
Heiter und beschwingt, ja beinahe tänzerisch ging es nach der Pause in der Art eines „Scherzo“, dem beliebten dritten Satz klassischer Sonaten, kurzweilig weiter. Als aber darauf bereits die Zugabe folgte, wurde dem konzentrierten Hörer überrascht klar, dass der Konzertabend bereits nach dem vierten Stück zu Ende ging. Ein großer Meister seines Faches, völlig zu Recht erster deutscher Gewinner der renommierten „Parmigiani Montreux Jazz Solo Piano Competition 2014“ und bereits 2010 Finalist beim Biberacher Jazzpreis, spannte hier einen großen Spannungsbogen in einem frei improvisierten abendfüllenden Solokonzert. So hören sich Sieger an.
gez. H. Schönecker